Veloweggesetz: Jetzt gilts ernst – und «an Geld fehlt es nicht»

Vier Jahre nach der Abstimmung tritt nächstes Jahr das Veloweggesetz in Kraft. Im Gespräch erläutert Matthias Aebischer, was sich damit in den nächsten Jahren beim Velofahren ändert.

Ein Interview von unserem Medienpartner velojournal.ch.

Mit Matthias Aebischer sprach Pete Mijnssen

Bund und Kantone haben nun 20 Jahre Zeit, auf den Strassen ein Velowegnetz zu planen und zu bauen. Was wird sich in dieser Zeitspanne schon vorher ändern?

Ich spüre aus dieser Frage etwas Ungeduld heraus. Und Sie haben recht. Auch wir von Pro Velo finden, dass es zu lange geht. Die Gemeinden haben nun fünf Jahre Zeit, ihre Velowegnetze zu planen. Danach bleibt ihnen weitere 15 Jahre Zeit, diese umzusetzen. Es ist klar, dass wir nicht warten werden, bis in 20 Jahren die hinterste und letzte Gemeinde ihr Velowegnetz gebaut hat. Wir werden auf allen politischen Ebenen, kantonal und kommunal Druck machen, damit die Umsetzung möglichst rasch vorwärtsgeht. Ein Teil der Gemeinden hat das Veloweggesetz aber bereits antizipiert und mit der Planung begonnen, das ist toll.

Matthias Aebischer: Der ehemalige Journalist und Fernsehmoderator Matthias Aebischer sitzt seit 2011 für die SP im Nationalrat und ist unter anderem Mitglied der Verkehrskommission. Siet 2017 ist der passionierte Velofahrer Pro-Velo-Schweiz-Präsident.

Reden wir hier auch von punktuellen Verbesserungen wie etwa Vorgrün an Lichtsignalen oder Vortrittsrecht auf Fussgängerstreifen – um nur zwei Beispiele zu nennen?

Solche Bestimmungen regelt der Bundesrat in der Verordnung. Das Veloweggesetz kommt hier nur indirekt zum Zug. Es geht um Grundsätzlicheres. Ich mache Ihnen ein Beispiel: Ich bin auf dem Land, in Schwarzenburg/BE, aufgewachsen. Wenn vor 40 Jahren jemand bei Strassenprojekten gesagt hätte, dass die Velofahrenden auch berücksichtigt werden müssten, hätte man ihn für verrückt erklärt. Wenn die Mehrheit der Exekutive nichts für den Veloverkehr tun wollte, musste die Gemeinde auch nichts machen. Das war vorgestern. Morgen, konkret ab 1. Januar 2023, sieht es ganz anders aus. Es gibt keine Ausreden mehr, die Gemeinden sind verpflichtet, Velowegnetze zu planen und zu bauen.

Im Gegensatz zum gut ausgebauten Freizeitnetz ist es im Alltag noch immer Flickwerk. Wo werden die Velofahrenden am deutlichsten eine Änderung spüren?

Ich war früher Präsident des Vereins Fussverkehr im Kanton Bern und habe damals die Auswirkungen erlebt, die das Fuss- und Wanderweggesetz hatte. Früher musste man zu Fuss oft grosse Umwege in Kauf nehmen, um vorwärtszukommen. Dann kam 1977 das Gesetz, und heute sind Fusswege durchgängig und direkt, weil die Gemeinden überlegen mussten, welche Wege die Kinder für den Weg zur Schule benötigen und wie sich Kinder sicher zu Fuss bewegen können. So viel zur Auswirkung des Fuss- und Wanderweggesetzes. Genau den gleichen Effekt wird das Veloweggesetz haben.

Aebischer an forderster Front, um die Kampagne „Abstand ist Anstand“ zu promoten.

Mit dem neuen Artikel 88 «kann» der Bund nun die Kantone bei der Umsetzung unterstützen. Reicht das?

Der Bund hat verschiedene Möglichkeiten. Er kann über das Programm «Energie Schweiz» Projekte unterstützen oder dann natürlich über den Agglomerationsfonds, der Mittel für den sogenannten Langsamverkehr bereithält. In der vierten Generation sind es 1,3 Milliarden Franken, mit denen der Bund den Fuss- und Veloverkehr unterstützen kann. Wir sprechen da nicht nur von Velowegen, sondern zum Beispiel auch von Sharing-Projekten oder Veloanlagen. Aber: Die Gemeinden und Kantone müssen die zu Verfügung stehenden Mittel auch abholen.

Mit der Verpflichtung müssen Gemeinden und Kantone auch finanzielle Mittel für das Velowegnetz budgetieren.

Matthias Aebischer

An Geld fehlt es also nicht?

Nein, das denke ich nicht. Wenn die Mittel nicht reichen, würden wir, also der Bund, wohl noch mehr Geld für den Langsamverkehr sprechen, davon bin ich überzeugt. Einschränkend muss aber auch erwähnt werden, dass sich der Bund jeweils bis maximal zur Hälfte an Agglomerationsprojekten beteiligt. Kantone und Gemeinden müssen also nochmals denselben Betrag investieren. Und wenn diese nicht selbst Geld in die Finger nehmen wollen, passiert nichts. Dann kann auch der Bund nicht helfen. Mit dem Veloweggesetz haben wir hier aber einen Hebel. Denn mit Beginn des Jahres 2023 sind Gemeinden und Kantone verpflichtet, Velonetze zu planen. Dafür müssen sie auch finanzielle Mittel budgetieren.

Die Machbarkeitsstudie des Bundesrats zum Velo-Nationalstrassennetz liegt über zwei Jahre im Rückstand. Fällt die Schweiz wieder in die altbekannte Pflästerlipolitik zurück, wo Kantone und Gemeinden in unterschiedlichem Tempo unterwegs sind?

Die politischen Mühlen in der Schweiz mahlen langsam. Aber es passiert etwas! Das ist das Wichtigste. Der Bund hat die Hoheit über 390 Kilometer Nationalstrassen der dritten Klasse, also nicht Autobahnen. Zum Beispiel die Strasse durch die Schöllenenschlucht. Auf all diesen Strassen setzt der Bund Velomassnahmen um. Was ich damit sagen will, ist, dass der Bund seine Aufgaben durchaus wahrnimmt. Er stellt auch genug Mittel für die Agglomerationsprogramme bereit …

… wo es offenbar harzt. Das Geld des Bundes wäre vorhanden, doch Kantone und Gemeinden können es nicht abholen, weil ihre Projekte nicht ausgereift sind. Wo drückt der Schuh?

Das ist leider ein «Klassiker». Gemeinden und Kantone geben Projekte ein, um Gelder für sich zu reservieren. Viele dieser Projekte sind bei der Eingabe aber nicht ausgereift. Das ist nicht nur bei Veloprojekten so, sondern auch beim Bahnausbau und bei den Nationalstrassen. Werden die Vorhaben dann im Detail betrachtet, merken die Gemeinden, dass es hier noch Anpassungen, dort noch Verbesserungen braucht. In der Folge werden die Projekte zurückgestellt und das Geld dafür beim Bund nicht oder erst später abgeholt.

Matthias Aebischer // Bild Franziska Scheidegger

Ständerat Matthias Michel forderte jüngst in einem Postulat den «Ausbau der intermodularen ÖV- und Veloinfrastrukturen». Was sagen Sie dazu?

Ich begrüsse dieses Postulat. Michel macht den Bundesrat darauf aufmerksam, dass er Klimaziele hat: bis 2030 die Halbierung der CO2-Emissionen, bis 2050 netto null. Das Postulat erinnert die Landesregierung an ihre selbs gesteckten Ziele. Ich verstehe das Postulat zugunsten einer Offensive ausserhalb der urbanen Gebiete. Auf dem Weg zur Klimaneutralität sind alle Regionen gefordert.

Das Bundesamt für Raumplanung (ARE) rechnet beim Veloverkehr bis 2050 mit einer Verdoppelung von zwei auf vier Prozent. Da sind die Anzahl Wege zwar nicht einberechnet, aber es klingt dennoch wenig ambitioniert.

Bis jetzt wurden diese Prozentsätze so nie verwendet. Wir sprechen von einem gesamtschweizerisch aktuellen Veloanteil von acht Prozent. Das ist wenig. Hier braucht es auf jeden Fall eine Verdoppelung. In den Niederlanden beispielsweise liegt der Anteil der Personen, die regelmässig das Velo benützen, bei mehr als 36 Prozent. Dort sollten wir hin. Diese zwei Prozent, die Sie erwähnen, beziehen sich auf den Veloanteil an den in der Schweiz zurückgelegten Kilometern. Darum sieht das nach so wenig aus. Wenn nun aber dieser Anteil verdoppelt wird, heisst das auch, dass der Anteil Personen, die das Velo regelmässig nutzt, verdoppelt wird. Das finde ich eine ambitionierte Zielsetzung.

Das Velo muss wie in den Niederlanden auch in der Schweiz das wichtigste Verkehrsmittel werden.

Matthias Aebischer

Das Gesetz ist für Pro Velo eine wichtige Voraussetzung dafür, dass in der Schweiz alle Altersgruppen sicher und attraktiv Velo fahren können. Wie wollen Sie als Präsident den Mitgliedern kommunizieren, dass sie noch länger Geduld brauchen?

Es gibt zwei Ebenen. Die eine ist das Gesetz, auf das wir in den letzten Jahren aktiv hingearbeitet haben. Damit wir über die Gesetzgebung weitere Fortschritte erzielen, gibt es neu Cycla – die Allianz, welche die Abstimmung gewonnen hat. Für das Campaigning, also den Druck von unten, gibt es die Pro-Velo-Regionalverbände. Wir von Pro Velo Schweiz werden in diesem Bereich unseren Regionalverbänden helfen und ihnen unter die Arme greifen, damit wir vorwärtskommen.

In vielen Gemeinden und teilweise auch bei den Kantonen besteht ein grosses Manko an Velofachwissen. Wie will Pro Velo dafür sorgen, dass Bund und Kantone die nun klar formulierten Aufgaben in der nötigen Qualität und Zeit erfüllen werden?

Wir schlagen vor, dafür beim Dachverband eine neue Stelle zu schaffen. Wir müssen aktiv auf die Regionalverbände zugehen und sie unterstützen, Best-Practice-Ansätze aufzeigen und den Regionen bei Fragen zur Seite stehen.

Zum Schluss der Blick in die Kristallkugel: Wie sieht unsere Verkehrslandschaft in zehn Jahren aus?

Beim Antritt als Präsident von Pro Velo Schweiz habe ich gesagt, dass ich die Anzahl Menschen, die hierzulande regelmässig Velo fährt, verdoppeln möchte, also von 8 auf 16 Prozent. Heute stehen wir bei etwa 10 Prozent. Wollen wir unsere Klimaziele erreichen, müssen wir noch grösser denken. Das Velo muss wie in den Niederlanden auch in der Schweiz das wichtigste Verkehrsmittel werden.

Bundesbeschluss Velo vom 23.9.2018

Der Bundesbeschluss Velo zur Änderung des Art. 88 der Bundesverfassung wurde am 23. September 2018 von allen Kantonen und 73.6 % der Stimmenden angenommen. Die grösste Zustimmung erfuhr die Vorlage im Kanton Waadt (86.3 %), die schwächste im Kanton Obwalden (57.2 %).
Der Bundesbeschluss war der direkte Gegenvorschlag zur Velo-Initiative, die von Pro Velo Schweiz zusammen mit anderen Organisationen im Jahre 2015 lanciert worden war. Die Initiative wurde im Frühling 2016 eingereicht und im Anschluss an den Parlamentsbeschluss über den direkten Gegenvorschlag zurückgezogen.

Chronologie Veloweggesetz

  • 23. September 2018: Die Verfassungsänderung wird von 73.6% des Stimmvolkes angenommen. Das JA setzt sich in allen Kantonen durch.
  • April – September 2018: Abstimmungskampagne. Gründung eines nationalen JA-Komitees.
  • 22. März 2018: Die Initiative wird vom Trägerverein offiziell zurückgezogen. Die Initianten unterstützen den Bundesbeschluss Velo.
  • 13. März 2018: Der direkte Gegenvorschlag wird von Nationalrat und Ständerat an der Schlussabstimmung der Frühlingssession klar gutgeheissen.
  • 1. März 2018: Der Nationalrat stimmt dem Gegenvorschlag zur Velo-Initiative mit 120 zu 67 Stimmen zu.
  • Januar 2018: Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrats unterstützt den Gegenvorschlag des Bundesrates und lehnt die Initiative ab.
  • November 2017: Der Ständerat stimmt dem Gegenvorschlag zur Velo-Initiative mit 35 zu 5 Stimmen zu.
  • Oktober 2017: Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Ständerates unterstützt den Gegenvorschlag des Bundesrates und lehnt die Initiative ab.
  • August 2017: Der Bundesrat verabschiedet den direkten Gegenentwurf zur Initiative.
  • Januar 2017: Der Bundesrat kommentiert die mehrheitlich positiven Rückmeldungen zur Vernehmlassung und stellt seine Botschaft ans Parlament für September 2017 in Aussicht.
  • November 2016: Die Vernehmlassung zum Gegenvorschlag des Bundesrates geht zu Ende.
  • Juni 2016: Der Bundesrat entscheidet sich für die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags.
  • März 2016: Die Veloinitiative wird mit 105’234 Unterschriften für gültig erklärt.
  • März 2016: Einreichung der Unterschriften
  • Oktober 2015: 100’000 Unterschriften sind gesammelt.
  • März 2015: Lancierung der Initiative und Beginn der Unterschriftensammlung

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5 Kommentare

Peter Abt
31. Oktober 2022

Auf Fahrradwegen mit Fussgängern herrscht oft eine grosse Gefahr die oft grösser ist als auf Strassen mit Autoverkehr. Da fahren Kleinkinder mit Velöli links und rechts in Bogen, Hunde ohne an der Leine angebunden zu sein, Fussgänger zu viert nebeneinander, Velofahrer freihändig da am Handy, unglaublich was sich da alles abspielt. Da fahre ich lieber auf Strassen mit Autoverkehr.

    Veloplus – Roger Züger
    31. Oktober 2022

    Hoi Peter
    Danke für deine Wortmeldung. Der Vergleich von Langsamverkehrsupren (Fahrradwegen & Fussgänger:innen) und motorisierter Individualverkehr hinkt allerdings hinterher. Letzterer braucht seine Supr ja nicht zu teilen, der ist nur für den motorisierten Individualverkehr, während der Langsamverkehr seine sowieso bereits minimale Fläche zu teilen braucht. Und genau darum geht es ja beim Bundesbeschluss Velo, dass der Langsamverkehr bzw. die Veloinfrastruktur ausgebaut und entflechtet wird, für mehr Sicherheit aller. Beste Grüsse

Etter Ulrich
1. November 2022

Ich finde es gut, dass. betr. Veloweggesetz Vortschritte erzielt werden. Immer öfter sieht man
Politiker, besonders Grüne in Bern, welche ohne Velohelm fahren. Auch dem Veloplus Präsidenten
Matthias Aebischer würde ich als „Prevention“ raten, besonders im Herbst und in den Winter-
monaten; sowie als Vorbild. einen Velohelm zu
Tragen. Die Kritik von Velofahrern, Spaziergänger,
Familien mit Kindern auf dem gleichen Velo/
Spazierweg entlang der Reuss vom Nordpol nach
Luzern kann ich verstehen.
U. Etter, Rothenburg

René Buri
1. November 2022

Geehrter Robert Züger und Peter Abt
Beide haben irgendwo recht.
Ein Veloweg mit vielen andern zu teilen ist ziemlicher Unsinn.
Verkehrsführungen sind oft ein Buch mit sieben Siegeln für alle Verkehrsteilnehmer.
Aber auch Unsinn ist es, dass sich viele Velofahren nicht an Verkehrsregeln halten, resp. die Verkehrsregeln nicht kennen oder ignorieren. Zum Glück gibt es aber nicht so vielefarbenblinde Autofahrer wie Velofahrer und .fahrerinnen. Rotlichter werden von diesen nämlich noch und noch überfahren.
Oder wenn ich als Velofahrer auf dem Velostreifen rechts überholt werde von Velofahrern!!!
Ich bin sowohl mit dem Auto und mit dem Velo unterwegs in der Stadt und Land – mit dem Velo mehr als mit dem Auto.
Leider erlebe ich mehr gefährliche Situationen mit Zweiradfahrern als mit Autofahreren!!!

Ich denke was uns heute fehlt ist ein respektvoller Umgang
auf den – oft überfüllten Strassen – miteinander.

Gruess René Buri

PS Ein Helm tragen würde auch M. Aebischer sicherlich gut stehen. Ist ja irgendwie ein Pendant zum Sicherheitsgurt im Auto. Pro Velo sieht das anders – Sichtweisen können auch falsch sein:-)

André
5. November 2022

Mich nervt es, wenn ich ständig von PKWs, LKWs, Bussen des OeV viel zu nahe überholt werde, selbst in Kreiseln zwängelt man vorbei. Ein allgemein verbreitete Unsitte ist auch das Ueberfahren von Leit- und Sicherheitslinien in Kurven. Störend empfinde ich auch, dass die Lichtpflicht von e-bikes laufend kontrolliert wird im Gegensatz zu PKWs ohne Tages-Standlicht.

Um die Einhaltung der Mindestabstände wäre eine Aktion mittels Blachen am Strassenrand, im TV vor den Nachrichtenzeiten, Plakaten analog den Aktivitätenvon TCS etc nach Beendigungen der Schulferien. Ein Beispiel könnte man sich auch an den Oesterreichern nehmen, die das machen, um die ab Oktober 2022 geltenden Abstände von 1.50 m innerorts bzw 2.00 m ausserorts ins Gedächtnis der Autolenker zu bringen.

Was ebenfalls in Oesterreich schon seit Jahren bestens funktioniert, sind die weissen Vierecke von ca 25×25 cm bei Strassenüberquerungen und vielfach auch bei Fussgängerstreifen. Hier haben Radfahrer und Fussgänger den Vortritt vor Fahrzeugen, was mehrheitlich respektiert wird.

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