Odyssee in Marokko

Veloplus-Kunde Mati verbrachte den Winter in Marokko. Nach dreitausend Kilometern auf seinem Fahrrad, erzählt er hier von seinen Erlebnissen und beantwortet die am häufigsten gestellten Fragen zu dem Reiseziel in Nordafrika.

Reisebericht von Veloplus-Kunde Mati

Ehrlich gesagt, ohne Plan bin ich nicht nach Marokko gereist. Und verirrt habe ich mich wirklich nicht. Und trotzdem kann ich die Reise rückblickend als eine Art Odyssee bezeichnen. Vielleicht gerade deswegen, weil der beste Plan manchmal derjenige ist, den man über den Haufen wirft. Einen Plan, den man immer stärker missachtet bis man ihn am Ende ganz vergisst.

Eine Odyssee ist eine Reise, auf der man genug Zeit hat, sich zumindest ein bisschen zu verlieren, eine Reise, auf der man Herausforderungen meistern muss und manchmal an seine Grenzen stösst. Durch diese kleinen Prüfungen habe ich mich intensiv mit mir auseinandergesetzt, ich habe mich noch ein bisschen besser kennengelernt und ich weiss, wo ich in den nächsten Jahren meine Heimat finden werde. Und so wird aus einer Irrfahrt eine lehrreiche Reise.

Marokko ist seit Jahrzehnten ein touristischer Magnet. Und trotzdem habe ich sehr wenig Leute getroffen, die auf ihrem Fahrrad das Land, das so vielfältig daherkommt, durchqueren. Um den Einstieg zu erleichtern, möchte ich hier die Fragen beantworten, die mir nach meiner Rückkehr in die Schweiz am häufigsten gestellt wurden.

Wie hast du die kulturellen Unterschiede wahrgenommen?

In den kleinen Dörfern des Atlasgebirges leben viele Amazigh-Gemeinschaften, die ihre eigene Sprache und Handwerkskunst bewahren. Dort ist das gemeinschaftliche Leben wichtig, und die Menschen sind oft auf Landwirtschaft und Viehzucht angewiesen und wohnen in traditionellen Lehmhäusern. Die Marokkaner:innen wirken insgesamt sehr ruhig und entspannt; im Alltag wird man oft angesprochen, und eine Einladung ist nie fern. In den Dörfern gibt es kleine Gasthäuser, in denen Familien Zimmer in ihrem eigenen Haus vermieten. Nach dem leckeren Tajine-Abendessen setzt man sich dann noch ein bisschen zusammen im einzigen beheizten Raum des Hauses. In den Königsstädten Marrakesch, Fès und Meknès wird die traditionelle Kultur noch gelebt, insbesondere auf den lebhaften Souks, wo man die Atmosphäre und die vielfältigen Produkte hautnah erleben kann. Insgesamt fand ich es sehr spannend, für mehrere Monate in eine ganz andere Kultur und Lebensmentalität einzutauchen.

Was hast du gelernt auf deiner Reise?

Auf meiner Reise habe ich gelernt, loszulassen – nicht immer an einem Plan festzuhalten, sondern flexibel zu bleiben und einfach mit dem zu gehen, was kommt. Manchmal blieb mir nichts anderes übrig: Wenn der Sandsturm so tobte, dass Weiterfahren unmöglich war, hiess es warten, hoffen und Geduld üben. Oder wenn der Regen den Boden in eine klebrige Masse verwandelte, weich und zäh wie Erdnussbutter, und die Räder sich keinen Zentimeter mehr drehen wollten, dann half nur umdenken, die Route anpassen – und das Fahrrad an einer Tankstelle abspritzen.

Auch in kleinen Notsituationen, wie einer Fahrradpanne mitten im Nirgendwo oder wenn man nach 50 Kilometern in der heißen Nachmittagshitze immer noch keinen Kiosk in Sicht hat, habe ich gelernt, ruhig zu bleiben. Denn irgendwie schafft man’s immer. Wenn man nach Hilfe fragt, findet sich immer eine Lösung – sei es ein Mechaniker, der mit einfachsten Mitteln das Rad wieder flottmacht, oder ein freundlicher Mensch, der einem Wasser anbietet.

Aber am schönsten sind diese Momente, wenn man einen Hügel erklommen hat, das Herz noch schnell schlägt – und sich vor einem eine unglaubliche Landschaft eröffnet. Wenn der Wind die Hitze von der Haut trägt und man weiß, dass man für diesen Augenblick nichts weiter braucht. Die Freiheit, die einem das Reisen auf dem Fahrrad schenkt, ist unbeschreiblich – morgens losfahren, ohne genau zu wissen, wo man abends ankommt. Und ich weiß, dass ich noch viele solcher Abenteuer erleben will.

Ist es kalt im Winter?

Jein. Die Antwort auf diese Frage zeigt zugleich die Vielfältigkeit des Landes auf. Entlang der Küste ist das Wetter warm mit 25 Grad, ähnlich wie in den Wüstengebieten im Süden. In den hohen Bergen ist es tagsüber mild mit 15 Grad, in der Nacht kühlt es aber häufig ab bis unter den Gefrierpunkt. Auf der Packliste darf ein sehr warmer Schlafsack also auf keinen Fall fehlen. Nördlich des Atlasgebirges fallen im Winter auch einige Niederschläge, in höheren Gebieten auch Schnee. Südlich des Atlasgebirges sind Niederschläge nur noch selten. Besonders hier ist das Wetter perfekt fürs Fahrradfahren. Ein Tag mit stahlblauem Himmel wechselt den nächsten.

Ist Marokko sicher?

Ja. Ich habe mich in Marokko nie unsicher gefühlt, egal ob in grossen Städten oder kleinen Dörfern. Die Menschen sind sehr hilfsbereit und offen, für Schweizer Standards eventuell sogar schon etwas aufdringlich. Trotzdem ist die Armut in Marokko ein grosses Thema. Das Erdbeben, das im Jahr 2023 viele Bergdörfer komplett zerstörte, verschlimmerte die Situation dramatisch. Und wo die Armut so existenziell ist und der finanzielle Unterschied zwischen lokaler Bevölkerung und reichen Tourist:innen so gross, ist es nur nachvollziehbar, dass immer wieder nach Geld verlangt wird. Dieses Betteln nach Geld kann sehr intensiv werden und wenn man mit dem Fahrrad nicht anhält, kann dies auch unschön werden. So haben Kinder auch schon mal Steine in meine Richtung geworfen. Oder mich Erwachsene zum Anhalten gezwungen. Das waren wohl die unschönsten Situationen auf meiner Reise.

Was sind die schönsten Abschnitte mit dem Fahrrad?

  • Durch die Dades Schlucht in die höchsten Höhen: Durch das Dadestal führen Marokkos wohl abenteuerlichsten Serpentinen. Steile Haarnadelkurven, links und rechts ragen schroffe Felswände in die Höhe. Von dort führt die Strasse weiter über einen der höchsten Pässe Marokkos: Tizi n’Ouano. Auf 2’910 Metern über Meer kann einem die Luft schon mal ausgehen.
  • Die alte Kolonialstrasse: Im Süden Marokkos haben die Franzosen in der Kolonialzeit eine Strasse ins Nirgendwo gebaut. Die beeindruckende Strasse mit Trockensteinmauern ist halb eingestürzt und für Autos nicht mehr befahrbar und deshalb ein echtes Abenteuer. Auf rund 50 Kilometern kann man sich hier sicher sein: Keine Spur von menschlicher Zivilisation in Sicht. Eine Federgabel ist auf diesem Abschnitt empfohlen, denn die Unterlage besteht aus sehr lockeren und groben Steinen.
  • Die blaue Stadt Chefchaouen: Die Stadt wird auch blaue Perle genannt. Alle Häuser der Altstadt mit ihren sehr charmanten engen Gassen sind blau-weiss angemalt. Auf dem Weg nach Chefchaouen durchquert man das wunderschöne Rif-Gebirge, das mit sattem Grün bewachsen ist und wo viel Landwirtschaft betrieben wird.
  • Tafraoute: Die Kleinstadt liegt im Anti-Atlas Gebirge und wird von einer beeindruckenden Granitlandschaft umarmt. Der Weg in die Stadt führt an einigen wunderschönen Oasendörfern vorbei. Ait Mansour ist einer dieser Palmenhaine, die sich entlang eines Wildbachs erstreckt und sich so kontrastreich von der sonst so trockenen und marsähnlichen Landschaft unterscheidet. 

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