Kantonsgipfeli-Tour

Der 21-jährige Veloplus Kunde Tobias Renggli bestieg im Sommer 2024 nur mit dem Velo und zu Fuss den höchsten Berg in allen 26 Kantonen und machte sich nebenbei noch auf die Suche nach dem besten Gipfeli in der Schweiz.

Reisebericht von Tobias Renggli

Juni 2024. Ich bin in der Bibliothek gefangen, bereite mich fleissig auf meine Prüfungen an der ETH vor. Konzentrieren kann ich mich mittelmässig, die Beine sind noch etwas müde von der 2-Tages-Fahrt von Luzern nach Barcelona letzte Woche. Es riecht nach alten Büchern. Der Prüfungsstoff an der ETH ist – mal abgesehen davon, dass es tendenziell eher viel ist – eigentlich recht spannend. Jedoch interessiere ich mich in dem Moment gerade mehr dafür, wo es das beste Gipfeli der Schweiz gibt. Eine Frage, die sich bestimmt die meisten schon mal gestellt haben.

Gelungener Start

Juli 2024. Morgens um 02:30 breche ich auf, radle durch die Nacht, über Hügel, durch Täler, entlang verschiedenster Seen, wandere über Wiesen, Gletscher und kraxle steile Felswände empor. Gut 24 Stunden, 220 Kilometer und knapp 7’000 Höhenmeter später breite ich auf dem Brienzer Rothorn meinen Schlafsack aus. 4 Gipfel und Gipfeli teste ich am ersten Tag dieser Kantonsgipfeli-Tour, jene in Zug, Ob- und Nidwalden und das von Luzern. Gut sind sie alle, überragend ist keins davon.

2-tägige gratis Dusche 

Nach zweieinhalb Stunden Schönheitsschlaf geht’s zu Fuss vom Brienzer Rothorn wieder runter auf den Brünigpass, wo ich mein vollbepacktes Gravelbike im Gebüsch versteckt habe. Eigentlich wollte ich diese Tour erst dann starten, wenn das Wetter gut und die Bedingungen auf den Gipfeln stabil sind, jedoch rannte mir die Zeit davon, die Prüfungsphase im August nahte und ich konnte nicht mehr länger warten. Am Grimselpass holt mich der Sintflutartige Regen ein, begleitet mich auf der anderen Seite runter ins Goms, weiter über den Nufenenpass und lässt mich auch im sonst so sonnenverwöhnten Tessin nicht trocken. 

Tags darauf geht’s in aller Früh weiter, regnen tuts noch mehr als gestern. Trotz Unwetterwarnung und Überschwemmungen will ich mich am Tessiner Gipfeli versuchen. Die Landschaft im Val Malvaglia ist traumhaft schön, wild, verlassen. Der Schnee auf dem Gletscher weiter oben ist nass und schwer. Der Tessiner Gipfel, das Rheinwaldhorn (3402m), ist bei schlechter Sicht und viel Regen schliesslich anspruchsvoller als erwartet, das Gipfeli aus der Bäckerei in Biasca bis wir auf dem Gipfel ankommen völlig durchnässt. Der Abstieg geht schnell vonstatten, am Abend radle ich noch ein paar Kilometer nordwärts und schlafe schliesslich unter einer Brücke irgendwo im Tessin.

Kein Gipfeli am Finsteraarhorn

Bei Sonnenschein fährt es sich am nächsten Morgen wie von allein über den Nufenenpass zurück ins Goms. Nach ein paar Telefonaten während der Fahrt ändere ich meinen Plan an Tag 3 etwa zum fünften Mal und visiere als nächsten Gipfel das Finsteraarhorn im Kanton Bern an. Die Route von Fiesch über den Fieschergletscher bis auf den 4274 Meter hohen Gipfel ist lang und anspruchsvoll, der Fieschergletscher wohl einer der wildesten Orte der Schweiz. Die Routenfindung durch nicht enden wollende, gigantische Spaltenlabyrinthe in der Dunkelheit der Nacht ist alles andere als leicht. Begleitet werde ich von Martin Anthamatten, Bergführer und Profisportler als Trailrunner und Skitouren Rennläufer. Der obere Teil ist deutlich leichter, die Route kaum noch verfehlbar. Trotzdem gibt’s an dem Tag kein Gipfeli für mich. Wenige Meter unter dem Gipfel drehen wir um, die Bedingungen auf dem exponierten Grat auf über 4000m sind schwierig, sodass unser Bauchgefühl nicht mehr zu 100% stimmt. Aber je grösser die Wahrscheinlichkeit ist, dass man scheitert, desto grösser ist schlussendlich das Abenteuer. Und so ist dieser lange, strenge, aber wunderschöne Tag hoch in den Bergen ein hervorragendes Abenteuer. 

Hoch hinaus und ein tiefes Tief

Die Dufourspitze fühlt sich deutlich leichter an. Auch hier werde ich von Martin begleitet. Zügig und ohne Mühe steigen wir im Schein unserer Stirnlampe empor, über Geröll, Gletscher und zuletzt einen ausgesetzten Grat und erreichen schliesslich den Walliser Gipfel auf 4634m kurz nach Sonnenaufgang. Herrlich! Das Gipfeli aus der Bäckerei in Zermatt schmeckt vortrefflich, das könnte aber auch einfach an der Aussicht (z.B runter(!) aufs Matterhorn) liegen. Der Abstieg geht wie im Flug vorbei, in der Monte Rosa Hütte geben wir ein halbes Vermögen für haufenweise Kuchen und Getränke aus und sitzen kurz nach dem Mittag vor der Kirche in Zermatt auf der Treppe. Die beiden höchsten Gipfel sind geschafft, wir geniessen die Sonne und ich fühle mich unsterblich. 

In der Nacht werde ich eines Besseren belehrt. Heftige Magen-Darm Probleme holen mich von meinem Höhenflug auf den Boden der Realität zurück. Ich fühle mich fürchterlich, muss mich alle paar Minuten übergeben, kann kaum schlafen. 

Für die Strecke von Zermatt nach Visp – die wohlgemerkt nur bergab geht – brauche ich einen halben Tag. Alle paar Kilometer muss ich mich hinlegen, kann kaum geradeaus fahren. So suche ich mir in Visp eine Unterkunft, schlafe etwa so lang wie in den vier Nächten zuvor zusammen und radle erst am nächsten Tag auf den Furkapass. Genuss ist es noch keiner, aber immerhin fühle ich mich ein Stück besser. Zu Fuss geht’s noch ein paar Kilometer über den beängstigend zügig dahinschmelzenden Rhonegletscher, wo wir dann zu dritt auf dem Gletschereis, umgeben von hohen Bergen biwakieren.

Die Nacht im Schlafsack ist kurz und kalt, der nächste Morgen am Dammastock, mit 3630m dem höchsten Gipfel von Uri, dafür umso schöner. 

Richtung Osten

Weiter geht’s mit dem Velo über Furka-, Oberalp- und Albulapass ins Engadin, wo mit dem Piz Bernina noch der letzte 4000er Gipfel auf mich wartet. Als wir mitten in der Nacht aufbrechen wollen, schüttet es wie aus Strömen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu warten bis der Regen nachlässt. Das dauert noch eine ganze Weile, so brechen wir schliesslich erst auf, als es schon langsam hell wird. Die Route ist kurzweilig und landschaftlich unglaublich.

Am Mittag werden wir von einer Gewitterfront überrascht, die wir zum Glück in der Marco e Rosa Hütte bei Tee und haufenweisen Kuchen aussitzen können. Gegen Abend brechen wir wieder auf, kraxeln über den luftigen Spallagrat an der Grenze zu Italien und werden dafür mit unglaublichen Wolkenstimmungen auf dem Bündner Gipfel auf 4049m belohnt. Das Gipfeli ist schon etwas trocken, schmeckt bei dem Panorama aber natürlich trotzdem. 

Weiter geht’s mit den etwas weniger hohen, aber keineswegs minder schönen und teils recht anspruchsvollen Gipfeln in St. Gallen (Ringelspitz, 3247m, technisch wahrscheinlich der anspruchsvollste von allen), Glarus (Tödi, 3612m), Schwyz (Bös Fuelen, 2801m, neudeutsch würde man wahrscheinlich statt bös gefährlich und statt faul brüchig sagen). 

Kurze Pause am Neuenburgersee

10 Gipfeli in 2 Tagen

So brauche ich für die erste Hälfte der Kantonsgipfel 16 Tage. Die nächsten 10 Gipfeli schaffe ich dann in 2 Tagen. Nicht nur streng für die Beine, sondern auch für den Magen. Kreuz und Quer radle ich durch den Norden der Schweiz, zwischen Säntis und Chasseral und dann weiter Richtung Genf, wo ich das teuerste Gipfeli dieser Tour aus einer Gourmet-Bäckerei auf mickrigen 517m geniessen kann. Der Südseite vom Genfersee entlang pedaliere ich durch Frankreich und mache mich schliesslich in der Westschweiz auf die Suche nach den beiden letzten Gipfelis. 

Grande Finale

Tag 21 – der letzte! – ist nochmal einer der besseren. Wie so oft geht’s nach 3 Stunden im Schlafsack schon los, mit der Stirnlampe durch die friedliche Nacht. Halbschlaf und Dunkelheit helfen dabei, mühelos in einen Flow-Zustand zu finden. Auf dem Vanil Noir, dem höchsten Gipfel in Fribourg, geniesse ich die Wärme der ersten Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne auf meiner Haut und geniesse das Fribourger Gipfeli.

Nach einem zackigen Abstieg fahre ich mit dem Velo über den Col de Mosses auf den Col du Pillon. Dort wechsle ich wieder in die Trailrunningschuhe und gehe zu Fuss weiter. Auf schönen Wegen, über Geröll und zuletzt auf dem Gletscher steige ich empor, bis ich schliesslich den allerletzten Gipfel, den Sommet des Diablerets in Waadt auf 3216m, erreiche. Ein wunderbarer Moment, den ich mit einem Nussgipfeli bei einem der schönsten Sonnenuntergänge, den ich je erleben durfte, geniesse. Und auch wenn ich bei dieser Tour zwischendurch körperlich bisschen drunter gekommen bin, wünsche ich mir, dass sie noch ein paar Tage weiter geht und dieser finale Gipfelmoment, dieser herrliche Sonnenuntergang nie zu Ende geht.

Die Schweiz – mein Lieblingsland!

Vor drei Jahren – als ich 18 war – bin ich zwischen Matura und Studium durch 44 Länder geradelt, war überall in der Hauptstadt und zu Fuss auf dem höchsten Berg. Ganz allein, hab draussen geschlafen und mein gesamtes Gepäck immer dabeigehabt. Schlussendlich bin ich nach 36’000 Kilometern in sieben Monaten nach Hause gekehrt, mit der sehr schönen Erkenntnis, dass die Schweiz für mich das schönste dieser 44 Länder war. Man muss nicht immer weit wegreisen oder aufwändige Sachen machen, um eine gute Zeit zu haben. Schliesslich würde ich diese super simple Kantonsgipfeli-Tour durch alle Kantone der Schweiz, als eines meiner Lieblingsprojekte erachten. Ein hervorragender Sommer, direkt vor der Haustür. Und sicherlich bereichernder, als den ganzen Sommer in der Bibliothek bei der Prüfungsvorbereitung zu verbringen.

Welches nun das beste Gipfeli war, lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Das möchte ich hier auch nicht einfach so sagen. Schlussendlich steckt für mich selbst viel mehr hinter dieser Frage als eine blosse «Gipfeli-Rangliste». Viel mehr würde ich mir wünschen, dass sich jeder für sich selbst auf die Suche nach dem besten Gipfeli macht, raus geht und mehr Zeit in der Natur verbringt.

Kantonsgipfeli Film

Der 40-minütigen Film über diese Kantonsgipfeli-Tour wird im Januar 2025 mit Explora Events auf der grossen Leinwand in 13 Städen in der Schweiz gezeigt. Alle Infos und Tickets gibt’s hier: ÜBER ALLE GRENZEN | Explora – Live-Reportagen, Filme & Multivisionen

Website: www.tobiasrenggli.ch
Bildmaterial: Black Forest Collective | Film Production & Storytelling


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