Veloplus-Kundin Sarah hat sich einen lang gehegten Velo-Traum erfüllt und war diesen Sommer vier Monate alleine mit Zelt und Velo unterwegs.
Reisebericht von Sarah Prosek
Vier Monate, ein Fahrrad, ein Zelt und das Ziel, von Winterthur bis ans Nordkap zu fahren. Diesen Sommer habe ich mir endlich einen Traum erfüllt, den ich schon seit fünf Jahren im Kopf hatte.
Umwege lohnen sich immer
Meine Route hatte ich grob mit Komoot geplant, um ein Gefühl zu bekommen, wie lange die Reise ungefähr dauern würde. Unterwegs plante ich dann meist nur noch von Woche zu Woche, bis zum nächsten Pausentag oder zur nächsten grösseren Stadt. Umwege nahm ich gerne in Kauf, denn sie führten mich oft weg von Hauptstrassen und auf wunderschöne Fahrradwege. Gespräche mit Einheimischen oder anderen Bikepacker:innen halfen mir ebenfalls, spontan neue Wege zu entdecken.
Statt den direkten Weg durch Deutschland zu nehmen, entschied ich mich für einen abwechslungsreicheren Umweg über die Beneluxländer, was eine gute Entscheidung war. Die Strassen waren grösstenteils super, bis auf einige holprige Pflastersteinabschnitte im wallonischen Teil Belgiens. Mit 45 Kilogramm Gewicht fühlte sich das schon fast schon wie ein kleines Paris-Roubaix-Erlebnis an. Spätestens im flämischen Teil Belgiens und in Holland waren die Fahrradwege dann wieder super.


Durch Dänemark zu fahren, fühlte sich an, als würde ich durch ein lebendig gewordenes Gemälde fahren. Einfach wunderschön und farbenfroh. Die Wahl meiner weiteren Route fiel mir nicht leicht. Am Ende entschied ich mich dafür, über Schweden in den Norden zu fahren, da dies der direktere Weg mit vermutlich stabilerem Wetter als in Norwegen war. Bis Mittelschweden fuhr ich häufig auf wunderschönen, naturnahen Wegen, teils geteert, teils aus Kies. Dann ging es mehrheitlich über Hauptstrassen, die mal stärker und mal weniger befahren waren. Ab Jokkmokk hatte ich dann kaum Möglichkeiten für schönere Umwege und war gezwungen, auf der E45 mit vielen Campern und LKWs zu fahren. Nicht gerade mein Lieblingsabschnitt, aber irgendwie musste ich nach Norden, und Alternativen gab es nicht.
Schlafen in der Natur
Die meiste Zeit übernachtete ich im Zelt. Bis Kopenhagen fand ich problemlos Campingplätze oder Hostels. In Dänemark lernte ich dann die Shelter kennen: kleine, offene Holzhütten, in denen man gratis übernachten kann. Ab Schweden wechselte ich regelmässig zwischen Wildcampen und Campingplätzen: zwei, drei Nächte pure Natur und Abgeschiedenheit, dann wieder Camping mit Dusche, Waschmaschine und Strom.
Vor der Reise machte mir das Wildcampen etwas Sorgen. Und ja, es war anfangs ungewohnt. Doch ich gewöhnte mich erstaunlich schnell daran und nach ein paar Nächten begann ich, die Stille, das Alleinsein und die Nähe zur Natur zu lieben. In Schweden fand ich unzählige traumhafte Plätze direkt an Seen, an denen man nur das Plätschern des Regens oder den Flügelschlag eines Vogels hörte. Ich hatte keine Angst, denn es wurde ab Dänemark nie richtig dunkel in der Nacht. Es beruhigte mich zu wissen, dass das Jedermannsrecht in Schweden und Norwegen das Übernachten in der Natur erlaubt.
Im nördlichen Lappland wurde es dann schwieriger, gute Wildcamping-Plätze zu finden. Viel Sumpfgebiet und kaum Wege abseits der Hauptstrasse. In dieser Zeit gab es aufgrund der anhaltenden hohen Temperaturen täglich Gewitterzellen. Umso dankbarer war ich für offene, frei zugängliche Hütten, in denen ich kostenlos übernachten konnte. Diese Shelter und Hütten in Schweden findet man übrigens alle auf der App «Vindskyddskartan».


Highlights
Etwas vom Schönsten auf meiner Reise war die Hilfsbereitschaft und das Vertrauen der Menschen. Ich durfte mein Zelt im Garten einer belgischen Familie aufstellen, wurde von einem schwedischen Paar eingeladen, in ihrer Wohnung zu übernachten und sie zu nutzen, während sie auf der Arbeit waren, und fand Schutz vor einem Gewitter bei einem älteren finnischen Ehepaar, das kein Wort Englisch sprach. Was die sich wohl gedacht haben, als eine junge Frau allein und aus dem Nichts auftauchte?
Ich könnte unzählige solche Begegnungen aufzählen. So viele Menschen haben mir Vertrau-en geschenkt, was mich positiv geprägt hat.
Landschaftlich war der Abschnitt von Alta bis ans Nordkap ein absolutes Highlight.
Ich hatte Vorurteile und stellte mir die Gegend langweilig vor. Doch genau diese weitsichtige, karge und unberührte Landschaft hat mich so fasziniert. Auf diesen letzten Kilometern fühlte ich mich vollkommen frei und lebendig.


Nicht alles lief so rund
Mit den Mücken hatte ich gerechnet, nicht aber mit den Bremsen. Die Plagegeister schwirrten in Schwärmen um mich herum und stachen sogar durch die Kleidung. Da half nur ein Sprung in den See, um die Viecher loszuwerden.
Auch mein Körper kam in diesen vier Monaten nicht ungeschoren davon: trotz Radunterhose hatte ich immer wieder Druckstellen im Intimbereich. Regelmässige Pausen und Aufstehen halfen, diese zu entlasten.
Nebst ein paar (teils selbstverschuldeten) Platten hatte ich ausserdem einen gerissenen Schaltzug zu beklagen. Eigentlich nicht schwierig zu reparieren, nur war ich dummerweise irgendwo im Nirgendwo im schwedischen Wald und hatte kein Ersatzkabel dabei (man lernt dazu). Glücklicherweise funktionierte die Schaltung halbwegs, sodass ich mich weitere 20km ins nächste Dorf «retten» konnte. Dort fuhr ich per Autostopp wieder 40km zurück und fand einen «Allroundmechaniker», der mir half, das Kabel zu ersetzen. Ich hatte Glück im Unglück, denn der nächste Fahrradladen wäre 3.5h Autofahrt entfernt gewesen…
Hattest du nie Angst, allein als Frau?
Diese Frage wird mir immer gestellt, wenn ich davon erzählte, dass ich allein als Frau ans Nordkap gefahren bin. Meine Antwort ist immer: «Jein». Vor der Abfahrt schon, zumal ich einige Jahre zuvor auf einer Veloreise belästigt wurde und ich mir seitdem mehr Gedanken zu meiner Sicherheit mache. Unterwegs hingegen fühlte ich mich immer wohl. Ich habe gelernt, auf mein Bauchgefühl zu hören und Orte zu meiden, an denen ich mich nicht sicher genug fühlte.
Als alleinreisende Frau geniesst man auch Vorteile. Ich bekam oft Hilfe angeboten, wurde auf unzählige Kaffees eingeladen oder wurde beschenkt. Und das deutlich häufiger als die männlichen Bikepacker, denen ich begegnet bin. Auch mein Misstrauen gegenüber Männern legte sich. Ich erlebte sie häufig als sehr zugänglich und oft waren sie es, die ein Gespräch mit mir begannen oder mir Hilfe anboten.
Praktische Tipps
Vor meiner Reise hatte ich schon ein paar kürzere, zweiwöchige Solo-Veloreisen gemacht, was mir viel Sicherheit gegeben hat. Ich empfehle allen, vorher einmal das Reparieren eines Schlauchs und das Wechseln eines Schaltzugs zu üben. So bleibt man unterwegs unabhängig.
Für die Navigation habe ich mir ausserdem das Garmin Edge Explore 2 gekauft. Im Nach-hinein nicht zwingend nötig, aber es ist deutlich energieeffizienter als das Handy. In Kopenhagen besorgte ich mir zudem einen Wasserfilter. Praktisch, wenn der Stauraum knapp ist und man mit kleinen Taschen unterwegs ist. Bei mir wäre er jedoch nicht nötig gewesen, weil ich genug Platz für Wasser in meinen Velotaschen hatte. Ausserdem waren die Seen durch die Hitzeperiode so warm, dass ich kein Wasser daraus trinken wollte.
Ein letzter Tipp: Es lohnt sich immer, bei schlechtem Wetter oder in Tunneln eine Leuchtweste anzuziehen oder sie über die Tasche zu hängen. Sie braucht kaum Platz, aber erhöht die eigene Sicherheit in jeden Fall.
Und was ist geblieben?
Auf meiner Reise traf ich inspirierende und gutmütige Menschen, die ich immer in Erinnerung behalten werde. Diese Menschen haben mich mit ihren Ansichten über die Welt inspiriert, und dafür bin ich unendlich dankbar.
Es tat ausserdem gut, meine Komfortzone zu verlassen und hin und wieder an meine Grenzen zu stossen. Denn das passiert im Alltag viel zu wenig. Natürlich gab es Momente, in denen ich einfach keine Lust mehr hatte. Etwa dann, wenn ich so starken Gegenwind hatte, dass ich gerade so gut hätte laufen können und doppelt so lange brauchte, um mich fortzubewegen. Oder wenn die Bremsen mich so hartnäckig verfolgten und stachen, dass ich keine Zeit für Pausen hatte. Aber dank diesen Momenten traue mir heute mehr zu und habe gelernt, herausfordernden Situationen mit einer Portion Humor zu begegnen. Manchmal half nur «Augen zu und durch». Selbstmitleid brachte mich wortwörtlich nicht weiter, aber weiterfahren schon…


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