Veloplus-Kunde Michael entschied sich dazu, seine Sommerferien auf dem Velo zu verbringen. 3 Wochen war er auf einer Reise von Luzern ans Mittelmeer.
Im Aufstieg von Champéry zum Col du Grenier habe ich mich gefragt, warum ich mir das antue. Meine Beine waren am zweiten grossen Anstieg des Tages bereits schwer, die Sonne brannte unbarmherzig und das aufziehende Gewitter machte mich nicht nur etwas nervös, sondern liess auch die Luft schwül werden. Allein auf der Strasse, schwitzend und keuchend, verfluchte ich mein Vergangenheits-Ich. Dafür, dass es von der geplanten Route abgewichen war, um in einem Anflug von Übermut noch zwei Pässe mehr zu fahren. Dafür, dass es um 14:00 Uhr noch nicht zu Mittag gegessen hatte. Und dafür, dass es darauf bestanden hatte, doch noch ein paar nutzlose Gegenstände mehr einzupacken, die ich nun den Berg hochtragen musste.


Doch von vorne: Meine erste Veloreise wollte ich von Zuhause in Luzern aus starten. Wohin mich die Reise führen würde, konnte ich beim Start noch nicht genau sagen. Ich wusste nur, dass ich in drei Wochen wieder Zuhause sein sollte. Wie weit ich an einem Tag fahren konnte oder ob ich wirklich alles Wichtige auf mein Velo gepackt hatte, musste ich noch herausfinden. So startete ich mit einem Mix aus Nervosität und Vorfreude. Ohne Ziel, aber mit einer Mission: Abenteur erleben.
Die Schweiz aus einer neuen Perspektive
Und schon nach 50km habe ich meine Route das erste mal spontan abgeändert. Meine Beine trugen mich besser als erwartet (damals noch) und so fuhr ich am ersten Tag nicht durchs Emmental nach Bern, sondern via Schallenbergpass und Thun ins Gantrisch-Gebiet. Ich probierte mich unterwegs durch das kulinarische Angebot der lokalen Hoflädeli (viel besser als jedes Energy-Gel) und musste am Ziel des ersten Tages den Platzwart des Campings aus dem Feierabendbier holen, um Zugang zum Campingplatz zu erhalten. Hier merkte ich auch das erste Mal, dass ich etwas vergessen hatte. In diesem Fall: Bargeld. Doch kein Problem ohne Lösung. Ich hatte vom letzten Urlaub noch Euros in der Tasche, mit denen ich bezahlen konnte. Auch wenn der Wechselkurs nicht zu meinen Gunsten ausgelegt wurde.
In den nächsten Tagen ging es mit viel Aussicht und einem ständigen Auf- und Ab (hier sind sowohl die Route als auch meine Verfassung gemeint) via Gruyère, Lavaux und einem Schlafplatz direkt am Genfersee bis nach Genf. Es war wunderbar, die Strecke durch die Westschweiz, die ich sonst nur durch Auto- und Zugfenster gesehen habe, auf dem Velo zu erleben. Ich hatte mehr Zeit, meine Umgebung wahrzunehmen: Ich konnte die frisch gefällten Bäume im Wald riechen, spürte den Gegenwind in meinem Gesicht und musste mir die Aussicht auf Weinreben, Genfersee und Berge im Abendrot verdienen.


Abstecher ins Vercors-Massiv
Von Genf ging es dann zuerst der Rhone entlang, bevor ich einen Abstecher nach Champéry und zum (bereits erwähnten) Col du Grenier machte. Von da aus fuhr ich weiter der Isère entlang, meist auf gekennzeichneten Radrouten via Grenoble in Richtung Valence. Jeden Tag traf ich auf dem Camping oder im Restaurant jemanden, mit dem ich über Bikepacking-Setup und Routenwahl fachsimpeln konnte.
Manchmal war es anstrengend, keine fixe Route im Kopf zu haben. Ich musste mich jeden Tag neu entscheiden, in welche Richtung ich mein Velo lenke. Doch die Freiheit, die damit kam, hatte auch Vorteile: So konnte ich mich ohne Probleme dazu entscheiden, mein Zelt einen zusätzlichen Tag in Saint-Nazaire-en-Royans stehen zu lassen und mit leichtem Gepäck das Vercors-Massiv zu erkunden. Dieses ist dafür bekannt, eher schwer zugänglich zu sein. Für Velofahrende bedeutet das: Eindrückliche, in Felswände gehauene Passstrassen, tiefe Schluchten und tolle Weitblicke in einer Region mit wenig Verkehr. Paradiesisch. Besonders wird mir der Aufstieg zum Col de la Machine in Erinnerung bleiben. Die Strasse windet sich spektakulär den Kalkfelsen des Combe-Laval entlang. Am Morgen bläst mir ein kühler Wind den Duft von Kiefern ins Gesicht. Neben mir geht es 700 Meter in die Tiefe und der Blick wandert immer wieder zu den Felswänden der Schlucht. Doch die engen Kurven und in den Fels gehauenen Tunnel fordern meine ganze Aufmerksamkeit – ein unvergessliches Erlebnis.
Der Rhone entlang ans Meer
Mittlerweile hatte ich Montpellier als Ziel meiner Reise auserkoren. Ich folgte der Via Rhôna ab Valence mit konstantem Rückenwind in Richtung Süden. Auf gut ausgebauten Fahrradwegen jagte ich Flusskreuzfahrtsschiffen hinterher, campierte auf einem alten Bauernhof, ass massenweise Pains au Chocolat und war enttäuscht, dass die Brücke in Avignon nur bis zur Mitte des Flusses reicht. Zur Stärkung bekam ich unterwegs von einem Rentnerpaar, das ich auf der Strecke mehrmals traf, süsse Aprikosen zugesteckt. Ich merkte, dass Südfrankreich in grossen Schritten näher kam: Ich roch die ersten Lavendelfelder, die Luft wurde immer trockener und die Sonne immer stärker. Kuhweiden wichen Weinreben und die Rohne wurde immer breiter und breiter. Ich kämpfte mich durch Gravel-Passagen, querte die Rohne auf wackelingen Hängebrücken und nutzte einige der vielen Cafés am Weg für Boxenstops.


Entlang des Canals du Rhône à Sète fuhr ich am letzten Tag kilometerweise schnurstracks geradeaus. In der Camargue sah ich Flamingos und in Aigues-Mortes wurde ich von Touristen regelrecht umzingelt. Und dann war da plötzlich das Mittelmeer. Ein Sprung ins Wasser brachte die ersehnte Erfrischung, bevor ich die letzten Kilometer nach Montpellier in Angriff nahm.
Die Fahrt von Luzern nach Montpellier war mehr als nur eine sportliche und mentale Herausforderung (wie zum Beispiel am Col du Grenier). Es hat mir grossen Spass gemacht, draussen zu sein, mich zu bewegen und meine Grenzen zu überwinden. Ich habe tolle Begegnungen gemacht, einzigartige Orte entdeckt sowie fünf Pack Gummibärli und mindestens zehn Schoggigipfeli gegessen. Ich habe ein Abenteuer erlebt. Und ich habe gelernt, dass es sich lohnt, einfach mal loszufahren. Auch wenn man nicht genau weiss, wohin die Reise führen wird.
Die Route

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