Pro Velo Schweiz hat mit der Grünen-Nationalrätin Delphine Klopfenstein Broggini eine neue Präsidentin mit grossen Zielen für das Velo. Wir haben die neue Frau an der Spitze von Pro Velo in einem Interview etwas besser kennengelernt.
Titelbild: Pro Velo Präsidentin Delphine Klopfenstein Broggini und Vizepräsidenten Hasan Candan (Copyright: Pro Velo CH / Fotograf: Sylvain Smykla)
Delphine Klopfenstein Broggini, Sie sind seit dem 30.11.2024 Präsidentin von Pro Velo Schweiz. Was sind konkrete Projekte oder Initiativen, die Sie bereits im Jahr 2025 anstossen oder umsetzen wollen und können?
Seit zwei Jahren ist das neue Veloweggesetz in Kraft. Es verpflichtet die Kantone, bis 2027 attraktive Radwegnetze zu planen und bis 2042 zu realisieren. Ich setze mich mit dem gesamten Team von Pro Velo dafür ein, dass dieses Gesetz ehrgeizig und fristgerecht umgesetzt wird. Auch um sicherzustellen, dass das Ziel des Bundesamtes für Strassen, den Veloverkehr innerhalb von 10 Jahren zu verdoppeln, erreicht wird. Um dies zu erreichen, muss der Bund die Kantone stärker unterstützen, bewährte Praktiken harmonisieren und Veloprojekte über den NAF-Fonds und die Agglomerationsprogramme finanzieren. Ich habe die Forderung im letzten Dezember an den Bundesrat gerichtet (siehe hier).
Welche Verbesserungen für das Velo in der Schweiz streben Sie in den nächsten Jahren an?
Mehr Platz für Velos erwerben, in den Städten und Agglomerationen, aber auch dazwischen. Es geht darum, den öffentlichen Raum zugunsten der aktiven Mobilität neu zu verteilen. Diese Fläche wird heute hauptsächlich von Autos beansprucht, während sich Radfahrer:innen und Fussgänger:innen oft nur einen schmalen Raum teilen. Eine gerechtere Verteilung des öffentlichen Raums bedeutet auch mehr Respekt auf der Strasse. Auch die Verbindungen zwischen den Städten sind von entscheidender Bedeutung.
In der Medienmitteilung nach Ihrer Wahl zur Präsidentin sagten Sie: «Wir müssen die Veloinfrastruktur weiter ausbauen, sie sicherer machen und auf den Fussverkehr und den öffentlichen Verkehr abstimmen.» Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?
Es geht darum, mit allen umweltverträglichen Verkehrsmitteln gut zusammenzuarbeiten. Wenn das Velowegenetz ausgebaut werden muss, sollte dies ohne Beeinträchtigung des Fussgängerverkehrs geschehen, wobei insbesondere Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen sind. Es ist die aktive Mobilität als Ganzes, die an Boden gewinnen muss. Ein grosser Handlungsbedarf liegt sicherlich in einer besseren Kombination von Velo und Zug. Ich fordere mehr Veloplätze in den Zügen, aber auch in den Bahnhöfen mit zahlreichen Velostationen.
Wie sieht die Schweiz in Bezug auf Veloinfrastruktur in Ihrem Wunschszenario in 20 Jahren aus?
Warum sollte sich die Schweiz nicht die gleichen Ziele setzen wie Kopenhagen, das 2012 eine neue Velostrategie für 2025 verabschiedet hat, mit dem Ziel, den Modal Split des Velos auf 50 % der Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsplatz zu erhöhen? Wenn man bedenkt, dass in der Schweiz jeder zweite Arbeitsweg kürzer als fünf Kilometer ist, ist dies ein realistisches Ziel, bei dem das Velo eine wichtige Rolle spielen kann!
Die Förderung der Velokultur ist ein zentrales Anliegen von Pro Velo. Wie kann man Ihrer Meinung nach noch mehr Menschen dazu motivieren, auf das Velo umzusteigen?
Das Wort ist treffend, denn es ist tatsächlich eine Velokultur, die gefördert werden muss, das Velo als Lebensstil, als soziales Bindeglied. Unsere Gesellschaft war jahrzehntelang um das Auto herum organisiert. Dieses Schema muss sich ändern, und Pro Velo spielt eine didaktische Rolle. Es geht darum, die Bevölkerung auf dem Weg zu neuen Praktiken zu begleiten, mit den Argumenten der Lebensqualität, einer besseren Gesundheit, mehr Effizienz auch bei unseren Fortbewegungsmitteln und gleichzeitig eine Antwort auf die aktuellen klimatischen Herausforderungen zu geben. Auch die Sicherheit ist von entscheidender Bedeutung, die durch gut gemachte Anlagen und angepasste Geschwindigkeiten gewährleistet werden muss. Je mehr Velofahrer:innen es gibt, desto sicherer werden wir sein! Die kritische Masse wird den Unterschied machen.
Welche Rolle spielt die Politik, um den Ausbau der Veloinfrastruktur und die Akzeptanz des Velos als Verkehrsmittel voranzutreiben?
Wir brauchen einen besseren gesetzlichen Rahmen, zum Beispiel in Bezug auf die Geschwindigkeit von Kraftfahrzeugen, für eine allgemeine Einführung von Tempo 30 in Städten (oder sogar Tempo 20 in Wohngebieten), die Sicherheit in Kreisverkehren oder einen grösseren Abstand beim Überholen von Fahrrädern. Die Strassenverkehrsordnung sollte ebenfalls geändert werden, um neue Velos besser aufnehmen zu können, was beispielsweise bedeuten würde, dass Cargo-Fahrräder auf Autoplätzen parkieren dürfen. Ich habe übrigens eine Motion in diesem Sinne im Nationalrat eingereicht. Generell wird eine bessere Anerkennung des Velos durch mehr finanzielle Mittel und velofreundlichere Verwaltungen erreicht, insbesondere durch die Anstellung von Veloexpert:innen in den Kantonen und Gemeinden, damit das Velo von Anfang an in die Planung einbezogen wird und nicht nur als Anpassungsmassnahme.
Was wünschen Sie sich von Unternehmen, Städten und Gemeinden, um die Velofreundlichkeit in der Schweiz zu verbessern?
Es bedarf einer positiven und inklusiven Velodiskussion. Das Velo ist oft zeitlich konkurrenzfähig, in einer Logik von Tür zu Tür, aber es ist auch gut für die Gesundheit. Setzen Sie sich weiterhin dafür ein und machen Sie es bekannt, indem Sie es anhand von Beispielen erklären. Durch wirksame Mobilitätspläne in Unternehmen und Behörden (zugängliche und sichere Veloabstellplätze, Dienstfahrräder, Duschen am Arbeitsplatz, steuerliche Attraktivität, besondere Dienstleistungen wie Reparaturen usw.). Kurz gesagt: Mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass es nicht nur möglich ist, mit dem Velo zur Arbeit zu fahren, sondern dass es auch bequem und insgesamt vorteilhaft ist. Eine Teilnahme an der Pro-Velo-Aktion Bike to Work ist auch ein Sympathiekapital für das Velo und gut für das Teambuilding.
Was bedeutet das Nein zur letztjährigen Autobahnausbau-Abstimmung für den Veloverkehr bzw. die Verkehrspolitik in der Schweiz? Was sind Ihre Forderungen?
Es ist ein Momentum. Ein Zeichen dafür, dass das Modell der 60er-Jahre, alles auf das Auto zu verlagern, veraltet ist. Die Kosten des Projekts waren sicherlich auch ein Grund für die Ablehnung: Motorisierte Mobilität ist teuer, angefangen bei der Infrastruktur über die Instandhaltung bis hin zu den Folgekosten, die sich allein auf fast 20 Milliarden Franken pro Jahr belaufen (Gesundheitskosten, Umweltkosten, Sicherheitskosten, etc.). Im Gegensatz dazu ist das Velo nicht nur billiger, sondern bringt der Allgemeinheit jedes Jahr mehrere Milliarden Franken ein (Kosten im Zusammenhang mit Gesundheit, Umwelt, etc…). Unsere Forderung ist klar: Der NAF-Fonds muss mehrheitlich den Agglomerationsprogrammen dienen (heute betrifft dies nur 10% des Fonds) und somit im weiteren Sinne der aktiven Mobilität.
Wie, wann und wo trifft man Sie auf dem Velo an?
Fast immer! Auf dem Weg zur Arbeit in Genf oder Bern, in meiner Freizeit oder im Urlaub (ich habe letzten Sommer Velo, Zug und Fähre zwischen Deutschland, Polen und Finnland kombiniert), oder einfach beim Einkaufen. Ich habe mehrere Velos, einen tollen Andersen-Einkaufswagen, zwei Anhänger und kein Auto.
Was gehört zu Ihrer Velo-Ausrüstung, nebst dem Velohelm, stets dazu?
Beispiele wären sicher die Leuchtweste und eine gute Veloklingel sowie die Lieblings-Hinterradtasche. Über den Helm hinaus sind gut eingestellte Bremsen und gut aufgepumpte Reifen die Grundlage. Ich bin immer mit meinen roten Ortlieb-Taschen (das Rot ist mittlerweile verwaschen, ich habe sie seit 20 Jahren, aber sie sind immer noch wasserdicht!), und einer kleinen Lenkertasche unterwegs, die praktisch für meine Handtasche, meine Schlüssel und mein blaues Cape ist, das ich bei Regen über jedes Kleidungsstück ziehe.
Frau Klopfenstein Broggini, herzlichen Dank für das Interview.
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