Veloplus-Kunde Urban hatte bereits seit vielen Jahren einen Velo-Traum. Diesen verwirklichte er sich nun nach seiner Pension.
Reisebericht von Urban
Eine Idee – was lange währt, ist nicht aufgehoben Als Europa durch den eisernen Vorhang noch geteilt war, entstand die Idee mal mit dem Fahrrad vom Nordkap nach Istanbul zu radeln. 1981 war ich zum zweiten Mal in Polen und habe das Land und die Gastfreundschaft der Menschen erfahren dürfen. Die Idee war reizvoll, die Durchführung, nämlich durch all die kommunistischen Länder zu fahren schwierig, denn damals brauchte es für alle Länder Visa und eine Anmeldepflicht an den jeweiligen Orten, wo man sich gerade aufhielt. Zuhause wurde ich von der Bundespolizei interviewt und ein Eintrag in die damaligen «Fichen» war so klar wie das Amen in der Kirche. Der eiserne Vorhang fiel, die Interessen änderten sich, eine Familie wurde gegründet und so kam die Idee in die unterste Schublade. Die Liebe zum Fahrrad blieb, die grauen Haare wuchsen, die bevorstehende Pension rückte näher und da war doch noch was! Genau die Idee Europa vom Norden nach Süden zu durchqueren.
Reiseplanung und Vorbereitungen
In die Pension zu radeln, sich auf den bevorstehenden 3. Lebensabschnitt vorzubereiten, die alte Idee zu realisieren, diese Gedanken liessen mich nicht mehr los. Zwei Jahre vor dem Start begann die Vorbereitung. Der Startpunkt war nicht mehr das Nordkap Anfang April, sondern der zweitsüdlichste Punkt Europa’s, nämlich Porto Kagio mit dem Leuchtturm am Cap Tenaro, auf dem Peloponnes in Griechenland. Dies weil im Norden noch Schnee zu erwarten war, im Süden mit Frühlingstemperaturen ein angenehmes Radeln möglich war. Schnee auf der Strasse sollte ich in den Bergen von Nordmazedonien doch noch sehen!
Am Computer fuhr ich verschiedene Routen, zwei Varianten konkretisierten sich und entsprachen ungefähr der ursprünglichen Idee. Als grösste Herausforderung in der Vorbereitung war der Kauf eines neuen Fahrrades 2023, da praktisch keine Gravelbikes mit Pinion Getriebe auf dem Markt verfügbar waren. Mit Glück konnte ich bei einem Händler in der Schweiz ein frisch geliefertes Bike erstehen, das grad von der Grösse für mich passte. Nun wurde es konkret, einen Termin zu setzen, meinen Job vier Monate vor der Pensionierung zu kündigen, alles zu richten und nach Porto Kagio aufzubrechen. Mit dem Zug nach Ancona, nach Patras mit der Fähre, mit einem Bus nach Kalamata und zum Schluss mit dem Taxi nach Porto Kagio – die Anreise ging wie geplant auf. Ich erreichte das kleine Dorf am südlichsten Zipfel des Peloponnes am 5. April 2024.
Es geht los!
Der Leuchtturm am Cap Tenaro musste zu Fuss erwandert werden und das erledigte ich gleich nach Ankunft. Der Start mit dem Fahrrad erfolgte am 6. April und wie: ganze 300 Meter konnte ich fahren und schon wartete die erste happige Steigung auf mich. Wer das Fahrrad liebt, der schiebt. Bis nach Polen sollte dieser Spruch mich begleiten, denn immer wieder waren mal steile Strassen zu bewältigen. Im Balkan, auf Nebenstrassen gehört dies einfach dazu. Stolz war ich, den 1. Tag (45,8 Km, 777Hm) geschafft zu haben, blauer Himmel, wenige Autos, erste Begegnungen und mein Ziel vor Augen, das Nordkap Ende Juli/Anfang August zu erreichen. Weitere 79 Tage auf dem Fahrrad folgten und ich möchte nun ein paar nachhaltige Eindrücke mitteilen.
Menschen auf dem Weg
Begegnungen mit Menschen haben mich auf dem gesamten Weg begleitet. Das Interesse an meiner Tour, woher ich komme, warum ich das tue, waren gewaltig. Oft wurde ich eingeladen, oder es wurde mir ein Kaffee in einem Restaurant bezahlt, einfach aus Freude. Meine erste grössere Pause legte ich in Kastoria in Nordgriechenland ein. Dort brauchte ich einen sicheren Platz für mein Fahrrad. Ganz selbstverständlich wurde es in einem Käseladen über Nacht eingeschlossen und konnte durch das Schaufenster besichtigt werden. Im Hotel daneben gab es einfach keinen Platz dazu.
Albanische Gastfreundschaft
In Mjedë, Albanien, traf ich auf einen Radler aus Frankreich, der auf dem Nachhauseweg in seine Heimat Australien war. Elliot und ich suchten gemäss Google Maps das angezeigte Bed&Breakfast mit einem Karavan Platz in unmittelbarer Nähe, den wir nicht fanden. Jedoch zeigte Google Maps mit dem roten Punkt unmissverständlich auf ein Haus, vor dem wir anhielten. Wir klingelten und ein älterer Herr öffnete uns die Türe und lies uns erstaunt herein. Mit einem Übersetzungsprogramm fragten wir nach diesem Karavanplatz und dem Bed&Breakfast um unser Zelt aufstellen zu können. Ali zeigte uns eine Wiese zum Zelten, seine Frau Leta bereitete jedoch im Haus sofort Betten zum Übernachten vor. Wir durften den schönen Garten mit den ersten reifen Kirschen bestaunen und davon kosten. Wir teilten das Abendessen, genossen einen schönen Sonnenuntergang und schliefen wie die Könige in unseren Betten. Bei Leta und Ali durften wir eine wunderbare Gastfreundschaft erleben.
Qualität geht vor
In Serbien, auf dem Weg nach Novi Sad, erreichte ich um die Mittagszeit das Dorf Zasavica. Bei einer überdachten Bushaltestelle entschied ich meinen Mittagslunch einzunehmen. Die Bushaltestelle befand sich vor einer serbisch orthodoxen Kirche, bei welcher die Türe offen stand. Ich machte mich auf sie zu besichtigen, und ein Mann in weissem Overall ermunterte mich mit Handzeichen hineinzugehen, obwohl ich in kurzen Hosen daherkam. Im Anschluss fragte ich ihn, ob ich bei der überdachten Laube neben der Kirche meinen Picknick essen dürfte, da leichter Nieselregen niederging. Ich durfte, und als ich meinen Lunch mit dem gekauften Fleischkäse auspackte, fiel dieser Mann schier in Ohnmacht. Er rannte in das Haus daneben und kam mit feinstem Schinken, Speck, Paprikawurst, Honig und Dessert zurück.
Erst dachte ich, dieser Mann sei ein Maler, letztlich war es der Pope Frensis, der in seiner Arbeitskleidung gerade seine Bienen versorgte. Natürlich durfte ich nicht ohne ein Bild von Sveti Vasilije Ostroški wegfahren, welches mich auf dem weiteren Weg begleiten sollte. Dass dies ein serbischer Nationalheiliger ist, erfuhr ich erst später in Novi Sad.
In Novi Sad landete ich in einem Hostel, in dem ebenfalls eine Gruppe türkischer Studenten untergebracht waren. Als ich mein Fahrrad die Stufen in den 1. Stock auf die Terrasse wuchtete, war die Aufmerksamkeit sofort bei mir und ich wurde mit Fragen bombardiert. Kerem dem alles zu laut und ungestüm war, wies seine Kolleg:innen zurecht und wollte von mir mehr wissen als nur woher/wohin. Lange sassen wir am Tisch und tauschten uns über unsere Leben aus. Auf der gesamten Reise war ich immer wieder über das Interesse, für mich und mein Unterfangen, insbesondere von jungen Menschen, beeindruckt.
Zeitzeugnis – lebende Geschichte
Die für mich eindrücklichste Begegnung erlebte ich kurz vor der Grenze nach Litauen, in Polen. Dort traf ich an einem See auf zwei Männer, die am Ufer rasteten. Wir kamen ins Gespräch, insbesondere mit dem älteren, einen circa 85 jährigen Mann. Ich erzählte ihm, dass ich schon über 12 Mal in Polen gereist bin. 1980 bei meiner ersten Reise hatte mich das Land in Bann gezogen. All die Umwälzungen mit Solidarność, Kriegsrecht, und später der Zusammenbruch des politischen Systems verfolgte ich aufmerksam weiter. Unter Kriegsrecht fuhr ich 1982 mit dem Auto nach Polen und brachte einige Alltagsgegenstände wie Kaffee, Waschmittel usw. mit, welche dort damals Mangelware waren. Als ich dies Czesław Sadłowski erzählte, begann er mir seine Geschichte zu erzählen.
Er war Mitbegründer von Solidarność in der Nähe von Warschau gewesen und wurde im Kriegsrecht verhaftet. Er sass 4 Jahre im Gefängnis. Einzelne Menschen wurden damals von der Geheimpolizei ermordet, er selbst war auch auf einer Todesliste. Seine Freiheit erlangte er durch das Fürsprechen des damaligen Kardinals in Polen. Tief berührt von dieser Begegnung verliess ich diesen schönen Ort am See und kurze Zeit später radelte ich zur Grenze Polen/Litauen/Russland an der Enklave von Kaliningrad vorbei. Dort zeigte sich wohin sich Europa nach der Wende wieder hinbewegt, nämlich zu Stacheldraht, Überwachungskameras und Misstrauen.
Verbotene Wege und Kriegspuren
In Litauen, genauer bei Šiauliai, fuhr ich an einem grossen Flughafen vorbei. Die App von Komoot hatte mir diesen Weg vorgeschlagen. Doch neben den Überwachungskameras stand auch ein stricktes Fahrverbot, auch für Fahrräder. Umkehren war für mich keine Option, also fuhr ich weiter durch unwegsames Gelände im Wald. Dies störte mich nicht, denn ich war mir sicher, dass ich auf dem Radar nur als harmloser Radler erkennbar sein würde. Und so kam es wie es kommen musste, kaum aus dem Wald wurde ich schon der litauischen Militärpolizei in Empfang genommen. Zum Glück konnte ich meinen Weg auf Komoot zeigen und nach längerem «netten» Gespräch und Identifikation durfte ich weiter ziehen. Ich versicherte ihnen, dass ich diesen NATO Stützpunkt nicht nochmals umrunden würde.
Der Krieg in der Ukraine war bei Begegnungen immer wieder Thema. Eigentlich wollte ich erst einen Abstecher nach Lwiw, Ukraine, von Polen aus machen, musste dieses Unterfangen unterwegs wieder verwerfen, da mir einige polnische Staatsbürger davon abgeraten haben. Auf meinem langen Weg traf ich, ausser in Schweden, immer wieder auf Monumente, Erinnerungen, Friedhöfe der verschiedenen Kriege in Europa. In Bosnien musste man sich noch vor eventuellen Minen in Acht nehmen, immer noch sieht man die Folgen des Krieges an den Häusern. In Sarajewo erinnern am Boden rot bemalte Blutspritzer an die Toten, die genau an diesem Ort ihr Leben lassen mussten. In Polen entdeckte ich grosse Wandbilder an Häusern, die den Krieg beschrieben. Im letzten Dorf Honningsvåg in Norwegen, sah ich im Museum und der Kirche des Ortes, Fotos von der Zerstörung des Ortes durch die deutschen Wehrmacht.
Besuche und Begleitungen
Die Tour war immer wieder unterbrochen, durch Kurzbesuche meiner lieben Ehefrau. Diese Zeiten nutzten wir für grössere Besichtigungen in Sarajewo, Budapest und Riga. Um zum vereinbarten Zeitpunkt vor Ort sein zu können, musste ich mal zügig radeln, mal konnte ich trödeln, was mich zu sehr schönen Orten in Lettland führte. In Lettland fuhr ich erstmals auf einer langen Sandpiste, die mir als «Waschbrettpiste» nur zu gut in Erinnerung blieb. Gehörig durchgeschüttelt hielt mein Fahrrad alle Strapazen unterwegs bravourös stand, musste ich doch nur in Polen meine hinteren Bremsbeläge wechseln lassen. Nicht mal einen Platten konnte ich flicken, das Flickzeug brachte ich wieder ungebraucht nach Hause.
Ein paar Kollegen wollten mich ursprünglich einen Teil der Tour begleiten. Je näher der Termin rückte, desto klarer wurde, dass aus diesen Begleitungen nichts werden würde. Mein polnischer Freund Bartek stürzte kurz vor meiner Ankunft in Kraków und musste eine Fraktur behandeln. Ein Schweizer Freund, Freddy, der auch aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, war im Juni mit seiner Partnerin und dem Wohnmobil in Schweden unterwegs und so klappte es doch, dass wir eine Woche gemeinsam radeln konnten. Highlight war eine Übernachtung auf einem wunderschönen wilden freien Camping, welcher mit einem eigenen Saunahäuschen aufwartete und die nachfolgende Abkühlung im Bach zu einem Genuss werden liess. Den Tipp dazu bekam ich von einem Franzosen, den ich Tage vorher getroffen hatte. Radler traf ich oft, manchmal reichte es sogar für gemeinsame Tage, wenn nicht, war ich glücklich ein paar Worte wechseln zu können.
Unerwartete Emotionen und Zielankunft
Die letzten 1000 Kilometer waren geprägt von viel Sonnenschein, Wärme und Rückenwind. Dies machte richtig Spass. Entlang des Grenzflusses Schweden/Finnland ging es Richtung Norwegen. Wilde Natur, Rentiere, flottes Vorankommen und doch meldete sich ein innerer Teufel, der mir einreden wollte, dass ich das Ziel nicht schaffen würde. Waren es die vielen Eindrücke, die vielen Kilometer, die beginnende Einsamkeit in den Weiten von Lappland? Ich wusste es nicht, es blieb mir nur diesen Teufel im Ohr sofort in die Schranken zu weisen. Kurz darauf radelte ich meine längste Strecke von Kautokeino nach Alta mit 136 Kilometer, wow. Kurz vor dem Ziel traf ich an mehreren Orten auf zwei Schweizer, einer mit dem Rad, der Andere mit einem alten VW-Bus unterwegs. Baltus und Manuel waren natürlich auch auf dem Weg zum Nordkap. Über WhatsApp vereinbarten wir, gemeinsam zum geografischen Nordkap zu wandern. So erreichten wir zuerst das eigentliche Nordkap. Höhepunkt war das Auftauchen von Walen am Ufer.
Am 27. Juli Aufbruch zum Finale: Von Honningsvåg machte ich mich auf die letzten 35 Kilometer zur Weltkugel mit dem Fahrrad. Nochmals mussten drei Anstiege bewältigt werden und endlich konnte ich auf den Kiesweg zur Weltkugel einbiegen. Als einziger Radler zu diesem Zeitpunkt, wurde ich von den anwesenden Touristen mit Applaus empfangen. Eine syrische Familie kam auf mich zu und wollte genau wissen, woher ich komme. 6681 Kilometer waren geschafft. Freudentränen stiegen auf, Telefonate mit meinen Liebsten waren weitere Höhepunkte. Nun war der Traum wahr geworden – und jetzt? Eine gewisse Leere stellte sich ein. Es ist vorbei, Aus! Zum Glück war an diesem Abend in Skarsvåg, dem nördlichsten Dorf in Norwegen ein Festival angesagt. An einem kleinen See machte mich ein fischender Norweger auf dieses nördlichste Open-Air – Verdens Nordligste Bryggefestival – aufmerksam! Da musste ich dabei sein. Bei Rentierburger, Bier und toller Atmosphäre unter Norwegern genoss ich, zusammen mit Manuel, dem Schweizer, den Abend. Gegen Mitternacht machte ich mich auf den Rückweg nach Honningsvåg. Ich konnte dabei die Mitternachtssonne abseits des grossen Rummels geniessen. Was für ein schöner Abschluss nach 80 Tagen unterwegs auf dem Fahrrad!
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5 Kommentare
10. Januar 2025
Lieber Urban,
Danke für deinen spannenden Reisebericht !
Hat Spass gemacht ihn zu lesen und mitzufahren an die vielen beschriebenen Orte deiner Erinnerungen.
Wenn du mal in die West-Schweiz radeln willst, denn ich denke dein Velo braucht immer noch Bewegung 😉 , meine Frau Susanne und ich könnten dir gerne ensere Unterkunft als B&B in Savigny anbieten und zusammen etwas über schöne Velo Reisen berichten !
Alles Gute und vielleicht auf ein ander Mal .
Mit einem frohen Gruss aus der Romandie
Peter
10. Januar 2025
Sehr schöner Reisebericht, danke!
13. Januar 2025
Hoi Sam
Besten Dank für das Feedback. Freut uns, dass der Bericht dir gefällt.
Beste Grüsse und weiterhin gute Fahrt, dein Veloplus-Team
15. Januar 2025
Hallo Urban
Danke für den spannenden Reisebericht. Hast du die Route aufgezeichnet (Komoot) und kann man die nachschauen?
Bei mir geht es noch ca. 3.5 Jahre, aber eine grössere Veloreise wäre auch mein Traum.
15. Januar 2025
Vielen Dank für Eure Einträge! Das freut mich sehr. Peter, ja ich möchte dieses Jahr von West nach Ost und von Nord nach Süd die Schweiz durchradeln und zwar in Etappen. Und Johannes Dein Traum mach ihn real!