«Wie gefährlich eine Situation ist, kann man nicht vom Schreibtisch aus beurteilen»

Dave Durner ist bei der Stadt Zürich zuständig für die Velosicherheit und bearbeitet die Meldungen, die bikeable-Nutzer:innen erfassen. Er erklärt, was die Stadt mit den Meldungen macht, welche nützlich sind – und welche sogar ihn zur Verzweiflung bringen.

Gastbeitrag von Felix Schindler

moveable: Du bist einer von zwei Menschen, die das bikeable-Account der Stadt Zürich betreuen. Was passiert genau, wenn ich einen Spot auf bikeable melde?
Dave Durner: Wir erhalten die Meldung als E-Mail und entscheiden zuerst, welche städtische Dienstabteilung zuständig ist. Was Planung und Bau betrifft, gehört eher ins Tiefbauamt, wenn es eher um Signale, Markierung und Ampeln geht, dann sind wir zuständig, die Dienstabteilung Verkehr. Das ist bei ungefähr zwei Dritteln aller Meldungen der Fall.

Wie geht’s weiter?
Wenn es um die Sicherheit der Velofahrenden geht, kümmere ich mich normalerweise selbst darum. Sonst nehmen wir mit den zuständigen Fachleuten Kontakt auf. Sie prüfen die Meldung und teilen uns mit, ob man das Problem sofort beheben kann, ob man das Anliegen in die Planung aufnimmt oder ob man nichts machen kann.

«Sofort beheben» klingt gut. Wie oft kommt das vor?
Zugegeben, nicht sehr oft. Das heisst: In der Regel kann man nichts machen oder im Moment nichts machen? Das klingt jetzt schon sehr hart. Es gibt immer wieder Massnahmen, die wir direkt umsetzen können. Kürzlich schlug jemand vor, man müsste aus der Clausiusstrasse links auf den Velostreifen zwischen ETH und Uni abbiegen können. Das macht Sinn, aber gemäss der aktuellen Signalisation darf man nur rechts abbiegen. Die zuständige Projektleiterin schaute sich die Situation vor Ort an, innerhalb von 48 Stunden war die Beitafel «Ausgenommen Velo» bestellt. Sobald sie angebracht ist, posten wir auf bikeable ein Foto davon.

Ihr geht immer vor Ort?
Nicht immer, aber oft. Wie gefährlich eine Situation ist, kann man nicht vom Schreibtisch aus beurteilen.


«Wir müssen unterschiedliche Interessen gegeneinander abwägen.»


Was ist ein typisches Beispiel für eine Meldung, bei der man nichts machen kann?
Kürzlich regte jemand an, einen Velostreifen auf der Bergstrasse zu machen. Damit wir einen Velostreifen auf einer Spur realisieren können, auf der auch ein VBZ-Bus fährt, brauchen wir mindestens 4,5 Meter Platz, in Kurven mehr. Wenn wir dort einen Velostreifen markieren, kann der 33er-Bus den übrigen Verkehr nicht mehr kreuzen. Aber: Auf der Bergstrasse wird Tempo-30 eingeführt, das wird die Situation deutlich entschärfen.

«Geht nicht» hören die Velofahrenden sehr oft, seit Jahrzehnten schon.
Ich verstehe den Ärger. Ich möchte auch, dass es schneller vorwärts geht. Aber wir müssen unterschiedliche Interessen gegeneinander abwägen. Die kleinen Randsteine sind für Velos ärgerlich. Für Menschen, die sich mit einem Blindenstock orientieren müssen, sind sie wichtig. Und wenn der Ausbau der Veloinfrastruktur mit den Interessen des öffentlichen Verkehrs kollidiert, dann kommen weitere Herausforderungen dazu.

Müsste die Stadt nicht auch mal unkonventionelle Lösungen in Betracht ziehen? In Groningen zum Beispiel werden viele Kreuzungen so geregelt, dass die Velofahrenden aus allen Richtungen gleichzeitig fahren können, während alle Autos stehen bleiben.
Rundumgrün funktioniert gut für Velo- und Fussverkehr, ist in der Schweiz aber rechtlich nicht vorgesehen. Das kann blöd herauskommen, wenn man es trotzdem macht. Ein Beispiel: Die Stadt entwickelte unkonventionelle, aber gut funktionierende Markierungen für Tempo-30-Zonen. Später entschied ein Gericht, dass die städtischen Markierungen nicht den Vorgaben des Bundes entsprechen. 2005 mussten die sinnvollen Markierungen für 1 Million Franken durch konforme Markierungen ersetzt werden. Das heisst: Auch unkonventionelle Lösungen führen nicht unbedingt zum Ziel.

Zurück zu bikeable: In den Meldungen wirst Du gelegentlich frontal angegriffen. Wie gehst Du damit um?
Manche Posts mögen etwas angriffig sein, aber ich halte auch diese Beiträge für wichtig. Es braucht Leute, die immer und immer wieder darauf hinweisen, wo die Mängel sind, wo es Verbesserungspotenzial gibt. Es ist ok, wenn diese Leute genervt sind.

Lässt sich zwischen den Zeilen nicht gelegentlich eine gewisse Frustration herauslesen?
Es kommt schon vor, dass ich gewisse Meldungen nicht mehr nachvollziehen kann, aber das kommt relativ selten vor.

Zum Beispiel?
Wenn der Ton sehr abschätzig wird, ist das nicht unbedingt hilfreich. Ich leite die Meldungen an die zuständigen Fachleute weiter. Wenn diese als Idioten bezeichnet werden, löst das eine gewisse Abwehr aus.


«Es wäre toll, wenn die politischen Grenzen für die Velofahrenden keine Rolle spielen würden. »

Dave Durner, Verantwortlicher für Velosicherheit, Stadt Zürich

Manchmal bleiben Meldungen auch unbeantwortet. Warum?
bikeable ist nicht immer der richtige Kanal. Meldungen über falsch parkierte Autos sind bei der Stadtpolizei besser aufgehoben. Bei fehlenden Veloabstellplätze würden wir gerne reagieren, aber unsere Ressourcen sind beschränkt und müssen sicherheitsrelevante Probleme priorisieren.

Worauf sollte man achten, wenn man einen Post schreiben möchte, der möglichst viel bewirkt?
Abgesehen von einer sachlichen und möglichst präzisen Schilderung des Problems: Bitte prüft, ob eine Meldung bereits erfasst wurde. Mehrere Meldungen zum gleichen Thema beanspruchen mehr Ressourcen, aber am Ende ist das Ergebnis dasselbe. Das gleiche gilt für identische Meldungen auf bikeable und Züri wie neu. Das führt nur zu Doppelspurigkeiten.

Unter dem Strich: Wie viel profitieren die Velofahrenden von der Zusammenarbeit zwischen bikeable und der Stadt Zürich?
Die grösseren Probleme kennen wir. Aber durch bikeable erfahren wir oft sehr schnell von akuten Mängeln. Die Meldungen helfen aber auch dabei zu verstehen, wo den Leuten der Schuh drückt. Und schliesslich können wir als Stadt Zürich auch zeigen, dass wir die Leute ernst nehmen.

Welche Entwicklung würdest Du Dir wünschen, damit die Wirkung von bikeable verbessert werden kann? Je mehr Leute die Plattform nutzen, desto besser wird sie. Und je mehr Gemeinden mitmachen, desto relevanter wird sie für die Velofahrer*innen. Viele Leute pendeln mit dem Velo auch aus angrenzenden Gemeinden wie Kilchberg oder Opfikon in die Stadt. Wenn sie einen Spot melden, der diesseits der Stadtgrenze liegt, wird die Verwaltung aktiv – ein paar Meter weiter passiert nichts. Es wäre toll, wenn die politischen Grenzen für die Velofahrenden keine Rolle spielen würden.

Interview: Felix Schindler


Unsere Partnerschaft mit bikeable.ch

Veloplus setzt sich aktiv dafür ein, dass das Velo als nachhaltiges Verkehrsmittel gefördert wird. Deshalb unterstützen wir verschiedene politische und gesellschaftliche Aktionen und Verbände, die das Velo begünstigen. Auch mit bikeable haben wir seit vielen Jahren eine Partnerschaft und unterstützen das Projekt. Mehr Informationen und eine Übersicht über unsere Veloförderungs-Projekte findest du hier:


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