Tagebuchseiten voller Natur, Anstrengung und Überraschungen

Die Veloplus-Kunden Thomas und Patrik waren im vergangenen Sommer auf dem Abenteuer ihres Lebens. Es wurde eine Reise, welche die beiden am Ende rund 3300 Kilometer und 30’000 Höhenmeter durch die Wildnis Amerikas und Kanadas führen sollte. Mit Tagebucheinträgen hat Thomas das Erlebte zu Papier gebracht.

Reisebericht von Thomas und Patrik

Tagebuchseiten voller Natur, Anstrengung und Überraschungen

Für den einen ist es schon fast Routine, für den anderen absolutes Neuland. Die Rede ist von mir, Thomas und Patrik – wir sind zwei Freunde aus dem Berner Seeland, welche im vergangenen Sommer die Great Divide Mountain Bike Route befahren haben. Für mich war es eine Rückkehr, ich habe die Route bereits im Sommer 2016 gemeistert und für Patrik war es die erste grosse Reise. Er hat bisher «nur» kurze, mehrtägige Reisen durch die Schweiz unternommen.

Mich hat das Abenteuer vor sieben Jahren so begeistert, dass ich wusste, ich will nochmals zurück und mein Elan war ansteckend. Patrik, der erst während Corona wieder die Faszination für den Drahtesel entdeckt hat, lies sich überzeugen und so planten wir die letzten Jahre unser Abenteuer. Eine Reise, welche uns am Ende rund 3300 Kilometer und 30’000 Höhenmeter durch die Wildnis Amerikas und Kanadas führen soll. Es folgen ein paar Auszüge, was wir dabei erlebt haben.


Tag 1: Canmore – Banff – Kananaskis Lake, 25.6.2023

Nach der kurzen Nacht und frühen Tagwacht, gönnen wir uns eine wohlverdiente Dusche. Doch schon danach folgt der erste Schock – die Taschen, welche die Fluggesellschaft verlegt hat, und in der Nacht liefern wollte, liegen nicht da, wo ich es mit dem Kurier abgemacht habe. Kurze Panik kommt auf und ich laufe einmal kopflos und in Unterhosen ums Haus – nur um zu bemerken, dass die Taschen bereits im Wohnzimmer stehen. Die anderen Hausgäste unserer Unterkunft, ein Bergsteiger-Duo, müssen sie in Empfang genommen haben. Also kurz packen, Taschen ans Velo montieren und es kann losgehen.

Larry, ein Bekannter unserer Gastgeber, hat sich bereit erklärt uns nach Banff zu fahren. Wir laden die Räder auf und verbringen eine unterhaltsame, 30-minütige Fahrt zum Startpunkt der Route. Einmal angekommen ist es Zeit für die obligaten Fotos und natürlich einen ersten Grosseinkauf. Denn die Strecke beginnt bereits abgelegen und ohne Verpflegungsmöglichkeit. Also beladen wir die Räder mit Essen für zwei Tage und bringen alles gerade so knapp in unsere Taschen unter.

Die Reise beginnt

Nun kann es losgehen – doch die Great Divide will uns willkommen heissen und der Himmel öffnet die Schleusen. So machen wir die ersten Kilometer unserer Tour in voller Regenmontur. Der zweite Schock kommt, als ich das GPS in Betrieb nehme, denn ich habe nur Europa-Karten geladen und keine für Nordamerika. Blöd von mir. Also gilt es zum Start nach alter Schule zu navigieren, mit Papierkarten und Orientierungssinn. Wir finden auch so zum Startpunkt der Route und es kann losgehen.

Bis jetzt habe ich es irgendwie gar nicht realisiert, es geht tatsächlich los. Erneut! Doch zack, der Schalter ist umgelegt und der Abenteuermodus ist angeworfen. Keine 100 Meter aus Banff raus und ich weiss wieder wieso. Wieso all die Strapazen, wieso so weit reisen, wieso auf einem Fahrrad durchs Nirgendwo fahren. Es ist einfach einmal mehr unbeschreiblich schön. Einen reissenden Fluss zur linken, den Schotter unter dem Rad, die frische Briese im Gesicht und der Duft der Nadelwälder in der Nase. Es ist einfach magisch. Doch zurück zur Fahrt – bald einmal endet der Regen und wir fahren bei Sonnenschein auf dem Goat Creek Trail in Richtung Süden. Stellenweise wird die Route sehr technisch und schwierig zu fahren. Es erfordert volle Konzentration die nassen und grossen Steine, die umgestürzten Bäume und die unzähligen Schlaglöcher zu umfahren und wir kommen dadurch nur langsam voran. Dafür ist es umso erlebnisreicher – teils auf Singletrails, teils auf Wanderwegen geht es stetig weiter.

Motivation und ein Grizzly Bär

Bald bemerkt man den fehlenden Schlaf der letzten Tage, erst bei Patriks Leistung und später bei meiner Motivation. Die wunderschöne Strecke durch den Nadelwald mit schönen Aussichten tauschen wir nach 30 Kilometern gegen eine breite, vielbefahrene Schotterstrasse ein. Zwar kommen wir schneller voran, dafür werden wir alle zwei Minuten mit Staub eingehüllt. Immerhin halten die meisten Autos grossen Abstand – einige bremsen sogar etwas runter.


Der erste Tour-Tag gibt nicht klein bei und hält noch einen dritten Schreckmoment für uns bereit.


Die nächsten 50 Kilometer sind ein stetiger Wechsel aus Schotter, Waschbrettpiste und Kies. Die optimale Spur zu treffen ist auch hier nicht einfach. Patrik fällt in den Aufstiegen oft weit zurück – die kurze Nacht und der Stress vor dem Abflug drücken auf sein Gemüt und seine Kraft. Irgendwann beschliessen wir uns mit Musik im Ohr zu motivieren. Dies und die Tatsache, dass wir mit Windunterstützung plötzlich schnell vorankommen hilft, das Tagesziel vor Augen zu behalten.

Der erste Tour-Tag gibt aber nicht klein bei und hält noch einen dritten Schreckmoment für uns bereit. Denn plötzlich steht hinter einer Biegung ein Grizzly-Bär am Strassenrand. Wir machen in sicherer Entfernung (etwa 50 Meter) Halt und machen akustisch auf uns aufmerksam. Man soll Bären schliesslich nicht erschrecken… Zudem zücken wir den Bärenspray und entsichern ihn. Wo bleiben bloss die Autos, wenn man sie mal braucht? Denn der Grizzly kommt unbeirrt näher, aber nicht in einer bedrohlichen Art. Er trottet einfach gemütlich vor sich hin – dennoch, er kommt immer näher. Doch dann sehe ich, was den Bär anlockt, zwischen ihm und uns liegt ein totes Tier auf der Fahrbahn. Als er es erreicht, hebt er es mit den Zähnen auf, schaut sich nochmals um und trottet davon. In dem Moment hören wir auch endlich ein Auto kommen, in dessen Geleitschutz wir uns am Grizzly vorbei wagen. Schnell weg. Was für ein Weckruf der Natur!

Da kommt es gelegen, dass die letzten Kilometer unspektakulär vonstatten gehen. Nach etwas mehr als fünfeinhalb Stunden erreichen wir den Campingplatz am Kananaskis Lake, stellen unser Zelt auf und beenden den Tag mit einem kalten Nachtessen und Tagebuch schreiben. Bevor es ins Moskito-sichere Zelt geht verstauen wir alle Esswaren und Toilettenartikel in einer bärensicheren Box und legen uns erschöpft schlafen.

Tag 8: Holland Lake Campground – Lincoln, 2.7.2023

Wir wollen heute vor der Mittagshitze den Richmond Peak hochfahren, deshalb stellen wir den Wecker nochmals 30 Minuten früher auf 7.00 Uhr. Doch Art, der liebevolle Campground-Host, hinter dessen Trailer wir unsere Zelte aufgestellt haben, überrascht uns mit Speck und Rührei. Wie schon am Vorabend bleiben wir wieder länger sitzen als gewollt.

Endlich auf der Strecke geht es hinter dem Holland Lake in die Wälder und die ersten Höhenmeter hoch. Durch das idyllische Hinterland führt uns der Weg durch dieselben endlosen Wälder wie gestern. Kurz nachdem wir den Clearwater Lake passieren, zeigt mein GPS für die nächsten Kilometer eine rote Diagonale nach oben an. Also beginnen wir, nun doch wieder in der Mittagshitze, den Aufstieg. Wir fahren separat hoch und einigen uns, dass ich einfach oben warte.

Unterwegs kühle ich mich mit einem nassen Stück Stoff im Nacken, welches ich ein paarmal im Rinnsal neben der Strasse nass mache. Stetig und konstant geht es hoch und nach zirka einer Stunde erreiche ich die Abzweigung zum Singletrail, der zum Gipfel führt. Ich geniesse die wundervolle Aussicht und setze mich in den Schatten – Pädu erscheint etwas später am Anschlag seiner Kräfte. Nichtsdestotrotz fahren wir weiter ins Grizzly-Bear-Habitat und durch Büsche entlang einer steilen Klippe.

Glück im Unglück

Kurz nach einer schmalen Erdrutsch-Stelle passieren wir die Passhöhe und uns eröffnet sich ein wundervoller Blick ins Tal dahinter. Eine Aussicht aus dem Bilderbuch und ein Trail, der sich der Bergflanke entlang nach unten windet. Vor lauter Euphorie beschliesse ich ein Video während der Fahrt zu machen. Doch den technisch anspruchsvollen Singletrail nur mit einer Hand zu fahren, ist denkbar dumm…


Mit mehr Glück als Verstand, kommt mein Fall bereits nach mehreren Überschlägen und rund drei Meter Fall zum Halt und ich kann mein Fahrrad, welches mir hinterher fliegt gerade noch auffangen.


Nach nur ein paar wackeligen Metern verliere ich die Kontrolle über mein Fahrrad, stürze und falle natürlich seitlich über die Böschung runter. Mit mehr Glück als Verstand, kommt mein Fall bereits nach mehreren Überschlägen und rund drei Meter Fall zum Halt und ich kann mein Fahrrad, welches mir hinterher fliegt gerade noch auffangen. Ich bin zwar etwas eingeklemmt unter dem Fahrrad, aber wir rutschen beide nicht mehr weiter. Alles ist noch dran, nichts schmerzt übermässig, kein Blut – guter Start. Erstmal befreie ich mich unter dem Velo, versuche im Hang Halt zu finden und stehe auf. Mit dem Adrenalinschub im Körper hieve ich das Rad mit Patriks Hilfe zurück auf die Strecke und klettere hinterher. Nochmals kurz ein Körpercheck – das Knie hat am meisten abbekommen, schon jetzt ist ein grosser Bluterguss sichtbar. Meine Schulter hat wohl auch einen Schlag einstecken müssen. Patrik, der sofort zur Stelle war, sammelt ein paar verlorene Gegenstände ein. Denn das Fahrrad hat den Sturz auch erstaunlich gut überstanden, alle Taschen sind noch dran, nichts ging kaputt und nur aus einer Tasche fielen die Gegenstände raus – erstaunlich für ein mehrfaches Überschlagen.

Fokus auf die Strasse

Es kann weitergehen, diesmal allerdings mit beiden Händen am Lenker und voller Konzentration auf den Singletrail. Denn die Strecke wäre eigentlich sehr anspruchsvoll und auch die Landschaft wäre sehr eindrücklich. Der Blick schweift allerdings nur gelegentlich über das Tal, der Rest der Zeit sind die fünf Meter vor dem Fahrrad im Fokus. Nach waghalsigen Kilometern dann endlich wieder eine normale Strasse, doch die Anforderung bleibt bei all den Schlaglöchern dieselbe: volle Aufmerksamkeit nach vorne.

Bis Seely Lake bedeutet es nun Zähne zusammenbeissen. Denn mit dem lädierten Knie geht es nun durch ein Waldbrand-Gebiet in dem nur noch die Baumgerippe übrig sind. Und man merkt sofort, welche Wirkung ein Wald oder das Fehlen der Bäume haben kann. Der Wind wird kaum mehr absorbiert und bremst uns zusätzlich aus. In Seely Lake angekommen, gehen wir in ein Restaurant und ich begutachte meine Blessuren. Der Becher mit Eiswasser wandert jedenfalls direkt als Kühlung an das Knie. Beim anschliessenden Essen schmieden wir die Nachmittagspläne. Geplantes Ziel ist Ovando, doch wir entscheiden uns für den Highway: für Patriks Erschöpfung und für meine Verletzungen die bessere Wahl.

45 Kilometer Extrarunde

Also geht es nach dem Halt auf die knapp fünfzig Highway-Kilometer. Leider kurz nach dem Start mit einer grossen Baustelle und einer weiteren Sandstrahlung durch die Autos. Dafür gibt es eine schöne Portion Rückenwind, als wir auf den Highway 200 in Richtung Ovando abbiegen. So stark, dass die Fahrt bis zum Tagesziel im Flug und mit hoher Geschwindigkeit vorüber gehen. Die Strecke führt uns durch karges Weideland und entlang eines Flusses, der die Randgebiete ergrünen lässt.

Im Dorf angekommen, fragen wir in der einzigen Unterkunft mit Bett nach einem Zimmer, leider eine Fehlanzeige. Da ich aber mit meinen Blessuren wirklich gerne eine Dusche und ein Bett hätte, entscheiden wir uns den Rückenwind zu nutzen und auf dem Highway bis Lincoln weiterzufahren. Extra 45 Kilometer zum Tagesabschluss. Mit viel Pausen und erschöpft fahren wir gegen 20.30 Uhr in Lincoln, Montana ein und beziehen das vorreservierte Motel-Zimmer. Eine wohlverdiente Dusche, ein Burger in der Bar nebenan und dann ab ins Bett.

Tag 22: Brush Mountain Lodge – Steamboat Springs, 16.7.2023

Um 7 Uhr früh weckt uns der Lärm in der Brush Mountain Lodge und nach etwas Anlaufschwierigkeiten, gesellen wir uns zu Pancakes und Spiegelei an den Tisch. Kirsten verwöhnt uns auch am neuen Tag – ihre Unterkunft ist ein wahres Paradies und ein Treffpunkt für zahlreiche Divide-Fahrer:innen. Nach dem Packen und dem Verabschieden der ersten Gäste, vertrödeln wir noch etwas Zeit bis wir um 9 Uhr endlich losfahren. Los geht es durch dasselbe karge Bergland wie gestern und selbst in der Frühe ist die kommende Hitze schon spürbar.

Die ersten 15 Kilometer folgen wir einer Back-County-Road ins Hinterland und geniessen die Hochland-Atmosphäre zwischen weiteren Kuhwiesen und Blumenfeldern. Irgendwann beginnt ein Birkenwald und ich kann mich vor lauter Natur-Fotomotiven kaum mehr sattsehen. Als das GPS auf der Höhenkurve Orange anzeigt, biegen wir ab und steuern auf die Watershed-Divide zu. Keine Continental Divide, aber doch ein Ziel zum Hinarbeiten. Die Birken mischen sich mehr und mehr mit Nadelbäumen und öffnen von Zeit zu Zeit den Blick auf die Weite des Tals. Definitiv einer der schönsten Tage bisher.

Das macht nicht mal die Tatsache kaputt, dass wir die letzten zwei Kilometer bis zum Gipfel schieben müssen. Der steile Anstieg, gemischt mit der Bodenbeschaffenheit, lässt nichts anderes zu – jedenfalls für uns nicht. Umso mehr Zeit habe ich, um Dutzende Fotos zu schiessen und die Natur in aller Pracht einzusaugen.

Kirsten hat schon angedeutet, dass die Aussicht auf dem Gipfel nicht grossartig sei und man einer kleinen Strasse nach links hoch folgen soll. Als Patrik ankommt und eine Verschnaufpause braucht, folge ich dem Waldweg für 200 Meter und mir öffnet sich ein wundervoller Blick auf das Tal zu beiden Seiten der Divide. Wirklich atemberaubend! Zig Fotos später sind wir zurück auf der Strecke, wo es nun für fast 15km bergab geht. Aber nicht ein «wir-können-es-ziehen-lassen» bergab, nein es ist eine weitere Hoch-Konzentrations-Abfahrt, die ebenfalls alle bisherigen Abfahrten in den Schatten stellt.

Grosse Geröllbrocken wechseln sich mit tiefem Sand ab und wir werden bis ins Tal ordentlich durchgeschüttelt. Eine weitere Prüfung für Mensch und Maschine. Unfallfrei und ohne Defekte erreichen wir den Steamboat Lake wo die Strasse endlich angenehmer wird und nochmals 15km später erreichen wir die Hauptstrasse. Genau bei der Abzweigung steht ein Laden der draussen Pizzas anbietet – ein perfekter Stopp um die Kräfte frisch aufzuladen.

Nach der Stärkung folgen noch 30 unspektakuläre Schlusskilometer bis zum Tagesziel. In Steamboat Springs, einer beliebten Wintersport-Destination, ist Schlussprogramm angesagt: Fahrräder waschen, Motel einchecken, Wäsche waschen und Nachtessen. Da wir über den Yampa River Trail eingefahren sind, sehen wir von der Ortschaft nicht viel und da unser Motel rund 3km ausserhalb vom Zentrum liegt, nehmen wir den Weg zurück auch nicht mehr unter die Räder und bestellen das Nachtessen aufs Zimmer. Auch das darf auf einer solchen Reise mal sein.

Tag 31: Del Norte – Platoro, 25.7.2023

Obwohl heute mein Geburtstag ist, stellen wir den Wecker auf 06:20 Uhr, denn heute ist der grosse Tag gekommen. Nicht mein grosser Tag, sondern der höchste Pass der Tour. Der Indiana Pass auf 3652 Meter über Meer liegt vor uns. Daher verzichte ich auf das Geburtstags-Ausschlafen und wir beginnen früh mit packen. Allerdings es sich verlängert mit der ersten Flut an Geburtstagsnachrichten etwas. Um Punkt acht Uhr haben wir den Bäckerei- und Tankstellen-Stop hinter uns und machen uns auf ins Hinterland. Die ersten 19 Kilometer noch auf Asphalt und mit kaum Höhenmeter, diese beginnen erst mit dem Wechsel auf Schotter. Und dafür gleich so richtig.

Mehr als 3000 Meter über Meer

Denn auf den nächsten 19 Kilometern geht es ohne Unterbrechung rund 1000 Höhenmeter rauf. Eine frische Brise und vereinzelte Wolken, lassen das Ganze angenehmer wirken als an anderen Tagen dieser Tour. Wir haben heute aber auch alle Register gezogen: 5-Hour-Energy-Shot, Elektrolyte-Drink im Schnellzugriff (dafür musste der Bärenspray auf den Gepäckträger weichen) und fix eingeplante Snack-Pausen zu jeder gefahrenen Stunde. So arbeiten wir uns Meter für Meter hoch und überschreiten bald die 3000 M.ü.M. Grenze und damit auch landschaftlich ein Wechsel von Birken- zu Nadelwälder und hochalpiner Landschaft.


Wo kann man schon mit dem Fahrrad auf über 3600 Meter über Meer rumfahren?


Ich kann mich an all der Schönheit kaum sattsehen und bin konstant am Grinsen. Patrik andererseits beginnt irgendwann die Höhe zu spüren. Erst mit Kurzatmigkeit und Kopfschmerzen und je höher wir kommen mit grossen Leistungseinbrüchen. Während ich munter voranfahre und von Zeit zu Zeit stoppe und warte, kämpft Patrik mit jedem Meter. Mal schiebend, mal fahrend erreicht aber auch er den Gipfel knapp über der Baumgrenze.

Wo kann man schon mit dem Fahrrad auf über 3600 Meter über Meer rumfahren? Wir wollen eigentlich auf der Passhöhe den Lunchbreak machen, doch Patrik fällt völlig von der Rolle. Die Kurzatmigkeit geht ins Hyperventilieren über und er bricht beinahe zusammen. Für das Gipfelfoto noch kurz alle Kräfte mobilisieren und dann den Mittagshalt 200 Höhenmeter tiefer nochmals versuchen. Hier funktioniert es und die Lebensgeister kommen zurück.

Rund um uns herum endlose Nadelwälder und weite Täler – der perfekte Platz für unser Sandwich-Stopp. Danach dränge ich auf die Weiterfahrt, denn wir müssen vor 18 Uhr in Platoro sein, sonst gibt es weder eine Unterkunft noch eine warme Verpflegung. Daher entscheiden wir uns kurz nach Summitville unser Duo für heute aufzusplitten, damit ich vorfahren kann, um vor der Deadline am Tagesziel alles zu erledigen. Vorher bietet uns ein vorbeifahrendes Auto aber noch etwas Wasser an, denn hier oben sind alle Bäche verseucht.


Ich fahre weiter und bestaune einmal mehr die Schönheit der Natur.


Summitville ist eine Goldgräber-Geisterstadt, was die verfallenen Gebäude und der halb abgetragene Berg beweisen. Was die giftigen Bäche aber noch nicht erklärt. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde nämlich Gold und Metalle mithilfe von Cyanid aus dem Boden gewaschen und nach dem Bankrott der Firma in den 90er Jahren, lief hochgradig säurehaltiges Wasser in die Bäche und Flüsse der angrenzenden Täler. Die US-Regierung hat seither 155 Millionen Dollar ausgegeben, um die Superfund Site zu reinigen.

Doch zurück zu unserer Fahrt. Im Tal bei Summitville nimmt der Wind gerade stark zu und ich kämpfe, nun allein fahrend, gegen die Böen an. Am Ende des Tals kommt mir in den Sinn, dass der SPOT-Tracker, den ich Patrik für den Notfall gegeben habe, nicht auf Tracking steht. Also schreibe ich ihm einen Zettel und klemme ihn mitten auf der Strasse unter einen Stein. Hoffentlich sieht er die Botschaft – dann kann ich von Platoro aus nämlich verfolgen, wo er steckt.

Ich fahre weiter und bestaune einmal mehr die Schönheit der Natur. Die Täler, die Aussicht und das Bergpanorama rund um mich herum verleiten mich zu unzähligen Fotostops und Drohnenflügen. Unterwegs gebe ich einem der vielen ATVs eine aufmunternde Botschaft für Patrik mit. Für mich beginnt nämlich gerade der 15 Kilometer Downhill zum Alamosa River. Die länger werdenden Schatten machen es schwierig die Strassenbeschaffenheit einzuschätzen und ich werde regelrecht durchgeschüttelt. Immer noch mit etlichen Stops für Fotos geht es holprig bergab. Vorbei am rot leuchtenden Lookout Mountain und zwei Bergseen bis ins Tal. Leider aber noch ins falsche Tal, denn Platoro liegt eine Bergkette südlich von hier. Namentlich liegt der Stunner Pass dazwischen – ein weiterer 3000er.

Auf Teils miserabler Strecke geht es zum Tagesabschluss nochmals 300 Höhenmeter hoch und ich pushe auf der Strecke fast ans Limit. Irgendein Bauchgefühl sagt mir, dass ich Patriks Standort checken muss und ihn mit einem Pickup abholen sollte. Ich überlege mir schon die Worte in der Lodge, um an ein Auto zu kommen. Mit deutlich weniger Freude als noch am Indiana Pass kämpfe ich den Stunner Pass hoch und versuche mich zu beeilen.

Ich halte kurz ein überholendes Auto an und frage nach einem anderen Fahrradfahrer hinter mir. Ja, da sei einer etwa einen Viertel die Strasse hoch und am Schieben. Patrik geht es also gut, ich atme auf und fahre entspannter dem Tagesziel entgegen. Platoro kommt in Sicht und kurze Zeit später biege ich um 17.20 Uhr vor dem Café und der Lodge ab. Ich erledige das Check-In und die Essensbestellung bevor um Punkt 18 Uhr ein munterer Patrik einfährt. Wir setzen uns bis fast Sonnenuntergang auf die Terrasse, geniessen den Burger, lassen den Geburtstag ausklingen und sind uns einig, dass dies trotz der Anstrengung einer der schönsten Tage der Tour war. Danach ziehen wir uns in unseren umgebauten Airstream zurück und fallen bald müde ins Bett.

Tag 43: Deming – Columbus – El Paso, 6.8.2023

Heute ist er gekommen, der letzte Tag der Tour. Noch ohne es ganz zu realisieren, fahren wir am Morgen durchs sonntäglich verschlafene Deming los gen Süden. 60 Kilometer Wüste trennen uns noch von Mexiko. Und dieses letzte Stück beginnt grüner als erwartet. Anfänglich prägen noch Schrottplätze und zerfallene Gebäude die Aussenbezirke von Deming. Doch bald beginnen Felder und Plantagen. Teils Bäume (die wir zwar nicht erkennen) und teils Chili-Felder begleiten uns zurück in die karge Wüste.


Etwas mehr als 3300 Kilometer seit unseren ersten Metern im verregneten Banff. Dazwischen zwei kanadische Provinzen, fünf amerikanische Bundesstaaten und jede Menge Schotter, Asphalt, Sand, Dreck und Höhenmeter. Hinzu kamen unzählige, liebenswerte Begegnungen, Gespräche und Hilfsbereitschaft.


Heute weht ein vorzüglicher Rückenwind und wir fahren erneut teilweise fast einen 30er-Schnitt. Stück für Stück geht es näher ans Ziel und bereits nach 1,5h erreichen wir den Grenzort Columbus, der nebst einer Kreuzung mit Tankstelle noch ein Hotel, ein Museum und ein Campingplatz hat und sonst nicht viel bietet. Wir stärken uns kurz mit einem kühlen Getränk und fahren dem Grenzposten bei Palomas entgegen. Auf dem Gehweg geht es bis an den Grenzzaun, wo ganz zuvorderst ein USA-Mexico-Schild den Endpunkt unserer Reise markiert.

Etwas mehr als 3300 Kilometer seit unseren ersten Metern im verregneten Banff. Dazwischen zwei kanadische Provinzen, fünf amerikanische Bundesstaaten und jede Menge Schotter, Asphalt, Sand, Dreck und Höhenmeter. Hinzu kamen unzählige, liebenswerte Begegnungen, Gespräche und Hilfsbereitschaft. Wundervolle Natur mit Bergen, Wäldern, Seen, Pässen, Wüsten, Wind, Täler und Sonnenschein. Small Town America, pulsierende Touristen-Städte, Campingplätze im Wald, Motels in jeglichen Zuständen und gar eine Jurte. Bier, Burger, Speck, Chicken Wings, Pancakes, Corndogs, Chips, Eistee, Skittles, 5-Hour-Energy, Tee und Mountain Dew. Gute Gespräche zu zweit, viele Lacher, lange Telefonate, fahrend im Schweigen und fahrend tanzen mit Musik im Ohr. Feldwege, Highways, Singletracks, Interstate, Waldwege, Schotterpisten, Sandpits und Wellblech. Aber auch Gefluche, Stürze, Gegenwind, Müdigkeit, Energielosigkeit, Demotivation, an die Grenzen kommen und manchmal auch etwas darüber hinaus gehen. All das, was die letzten 43 Tage für eine lange Zeit unvergesslich macht.

Doch im Moment des Ankommens geht uns das noch nicht durch den Kopf, denn der Tag ist noch lange nicht vorüber. Der mexikanische Grenzbeamte macht ein Foto von uns und wir geben uns eine kurze Umarmung und ein Fäustchen. Danach geht es mit dem Okay des amerikanischen Grenzbeamten auf dem Gehweg wieder zurück in die USA und zurück nach Columbus.

Eine unvergessliche Reise.

Leider trennen uns noch 5 Kilometer mit vollem Gegenwind vom Abschluss des Fahrtages. Also nochmals Kopf runter und in den Wind hinein. Einen weiteren Getränkestopp bei der Tankstelle später rollen wir auf dem Parkplatz des Los Milagros Hotels ein, steigen von den Rädern ab und haben die letzten Meter unserer langen Tour gefahren. Beim Hotel haben wir nämlich einen Shuttle, der uns nach El Paso fährt, gebucht.

Philipp, der betagte Eigentümer des Hotels, zeigt uns den Sprinter Van, wir laden unsere Räder ein und machen uns auf den Weg nach Texas. Unterwegs erzählt er uns seine halbe Lebensgeschichte, klärt uns über die Trump-Wall auf, informiert uns darüber, weshalb sein Hotel in Columbus rentiert und was seine Geschäftspläne für die Zukunft sind: T-Shirts bedrucken… Philipp ist so nett und fährt uns zuerst zur Amtrak-Station wo wir Kartonboxen für unsere Räder kaufen und anschliessend bringt er uns zum Motel. Dort eingecheckt und frisch geduscht, geht die Organisation los. Ein Grosseinkauf im Wallmart für Reisegepäck und Verpflegung, gefolgt von der grossen Zerlegung unserer Räder. Alle Taschen abmontieren, sortieren und neu packen steht auf dem Programm. Danach lassen wir den heissen Tag nebenan bei einem Bier und authentisch, mexikanischem Essen ausklingen.

Unsere Route

43 Tage
3321,3km
183h 27min
30’412 Höhenmeter

Von Kanada bis an die Grenze von Mexico – das ist die Route von Thomas und Patrick.

5 Kommentare

Rolf Brunner
11. Februar 2024

Hallo zusammen, hallo VP Team
Ein cooler Bericht, dankeschön. Was ich vermisse ist eine Karte mit einer groben Routenübersicht.
Viele Grüsse, ROB

    Veloplus – Seraina Manser
    12. Februar 2024

    Hallo ROB!
    Vielen Dank für deinen guten Input. Ich kläre ab, ob wir eine Karte einbauen können.
    Liebe Grüsse Seraina und das Veloplus-Team

    Veloplus – Béla Brenn
    20. Februar 2024

    Hallo Rolf
    Wir haben nun eine Karte mit der Routenübersicht von den beiden erhalten und am Ende des Blogs integriert. Violett eingetragen ist der Abschnitt, den die beiden mit dem Auto zurückgelegt haben.
    Beste Grüsse, Béla und das Veloplus-Team

Muriel
18. Februar 2024

Sehr schöner Bericht mit tollen Bildern! Gibt es vielleicht einen Blog o.Ä. auf dem die gesamte Reise nachzulesen ist?

    Veloplus – Béla Brenn
    20. Februar 2024

    Hey Muriel
    Vielen Dank für das Feedback. Das gesamte Reisetagebuch der beiden findest du hier: https://ridethedivide.ch/
    Beste Grüsse, Béla und das Veloplus-Team

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