Bikeferien in Italien

Veloplus-Mitarbeiter Richard Lüscher verbrachte einmal mehr einige wundervolle Biketage in Italien. Mit einem sehr malerischen Reisebericht bringt er das erlebte zu Papier bzw. in unseren Blog.

Reisebericht von Richard Lüscher

Biken wie Vital

Der Tag beginnt gemächlich. Signora Laura vom B&B in Ussita hat uns ein Frühstück hergerichtet, welches mit Müesliflocken, Früchten und Joghurt deutlich über die italienische „Prima Colazione Norm“ hinausgeht. Schön dass Signora Laura nach den verheerenden Erdbeben im Jahre 2016 wieder eine Unterkunft für Durchreisende anbieten kann. Zwei provisorische, einstöckige Holzbauten belegen nun grosse Teile des Umschwungs des Anwesens. Das auf den ersten Blick stattlich wirkende Haus, wurde nach dem Beben für unbewohnbar erklärt. Demnächst soll es abgebrochen und mit einem Neubau ersetzt werden.

Steil, steiler Monte Fema

Gut genährt starten wir zur dritten Tagesetappe, der Durchquerung der Sibillini Berge: Zuerst eine Einrollstrecke auf Asphalt leicht abfallend, dann leicht ansteigend weiter, durch ein hübsches Tal, der letzten Ortschaft am Fusse des Monte Fema entgegen. Der Untergrund wechselt zu Naturbelag und aus gemütlich ansteigend wird sausteil. Oh-oh, wollen wir uns das wirklich antun? Das Ganze gipfelt in der eindrücklichsten Schieberei in all den Tagen hier in Bella Italia. Bis zu 28 Steigungsprozent zeigt das Garmin Gerät nun an. Typisch für diese Gegend zieht sich der Karrenweg praktisch in Umkehrung der Falllinie den Berghang empor.

Wie sind wir doch verwöhnt von der bald lückenlosen Erschliessung des Alpenbogens, wo sich gepflegte Wege in Kehren in gemütlichen, maximalen 10 Prozent in die Sömmerungsgebiete hochschrauben. Doch hier auf den Monte Fema hoppelt wohl nur alle paar Wochen ein 4×4 Fahrzeug ausgestattet mit einer Extraportion Bodenfreiheit bergwärts. Dies zwecks Inspektion der in Gipfelnähe aufgebauten Antennenanlage. Keine Bauten eines Alpbetriebs sind zu sehen, nur Kühe, sich selber überlassen, und etwas weiter entfernt eine beträchtliche Anzahl Schafe, bewacht vom Hirten und seinen Herden-Schutzhunden.

Das Rad der Zeit

Hatte unsere Routenwahl im letzten Herbst quer durch die Abruzzen im Zeichen der Biketouren Legende Achim Zahn Pate gestanden, so könnte die diesjährige Fortsetzung weiter dem Apennin entlang in Richtung Norden gut und gerne aus der Feder des schweizerischen MTB-Urgesteins Vital Eggenberger stammen. Der inspirierende Bergführer, Biker und Buchautor scheute nie die Routenvorschläge in seinen legendären, noch auf Papier gedruckten Nachschlagewerken für Mountainbike-Touren, mit einem Gipfelsturm «per Pedes» zu garnieren.

Doch Stop, das waren die Neunzigerjahre! Die Hardtail-Bikes waren noch in der Überzahl, hatten Rahmengeometrien mit üppig langen Oberrohren und waren im besten Fall mit einer V-Brake ausgerüstet. Das höchste der Gefühle bezüglich elektronischer Gadgets war ein Avocet 50 Fahrradcomputer mit Altimeter. Doch auch das Rad der Zeit hat sich gedreht. Wir sind im beinahe vollständig digitalisierten 21. Jahrhundert angekommen. Komoot, Strava und wie alle diese Apps auch immer heissen, helfen uns beim Suchen von hübschen Trails in fernen Landen.


„Das Gedankenkarussell nimmt nun im Gleichschritt mit der Schieberei volle Fahrt auf.“


Das Schwarmverhalten fleissiger Fahrradtouristen, vermengt mit den Trainingsdaten der lokalen Bike-Gilde lassen auf den Web-Servern Datenberge wachsen, welche grösser sind als der Corno Grande, die höchsten Erhebung des Apennin. Diese Wegmarken prägen sich netzartig in Form von Heatmaps auf unseren Bildschirmen ein. Ist das die perfekte Planungsgrundlage, welche uns Otto-Normalbikern den Zugang zu neuen Bike Abenteuern ebnen soll? Und wie schnell ist doch der Trackverlauf auf dem Bildschirm per Mausklick festgelegt.

Das Gedankenkarussell nimmt nun im Gleichschritt mit der Schieberei volle Fahrt auf. Velowandern entlastet das Bikerhirn, da die Koordination des Pedaltritts mit dem gleichzeitigen Avisieren der idealen Aufstiegslinie mittels gezielter Lenkbewegungen entfällt. Ob meine zwei «Bike-Gschpänli» auf dieser Tour bei dieser unvergesslich zähen Schiebestrecke über 775 Höhenmeter auf den Monte Fema für meine Planungsarbeit noch rühmende Worte finden werden? Sonnenklar ist: Vital Eggenberger trifft dieses Mal keine Schuld.

Der Lohn für die Mühe

Meine eigenen Zweifel an Routenwahl und Sinn und Unsinn der selbst auferlegten Plackerei verfliegen mit dem Erreichen des Höhepunktes einmal mehr. Dieser fast schon unscheinbare, zuoberst abgeflachte Grashügel mit Namen Monte Fema liefert keinen Nährboden für das Infragestellen einer nun schon Jahrzehnte andauernden, tiefgreifenden Passion für die Freizeitbeschäftigung auf zwei Rädern.


„Ein Kaleidoskop von visuellen Eindrücken, Gerüchen und Beobachtungen von Flora und Fauna.“


Wir beglückwünschen uns gegenseitig und geniessen den 360° Rundumblick inmitten des Sibillini Nationalparks. Mit der Abfahrt durch die, in voller Bergblumenblüte stehenden Wiesen, schlagen wir ein neues Kapitel unserer gemeinsamen Wegstrecke auf. So reiht sich Wegabschnitt an Wegabschnitt auf der Fahrt durch die Berge und Täler der Regionen Marche und Umbria, ein Kaleidoskop von visuellen Eindrücken, Gerüchen und Beobachtungen von Flora und Fauna.

Verwöhnte Augen

Tags zuvor geniessen wir das Blütenmeer auf den Feldern der weiten Schwemmebene bei Castelluccio. Im Frühsommer steht die Blüte der hier traditionell angebauten Linsen an. Um das Auge der Betrachtenden einfach noch etwas mehr zu verwöhnen, werden die schmal angelegten Ackerstreifen wohl auch gezielt von den Landwirten mit der Einsaat von Mohn und anderen Blumenarten aufgehübscht.

Wir halten dieses touristische Highlight in einer gebührenden Anzahl von Bildern fest und wenden uns dann wieder unserem Tageswerk zu. Es gilt auf schmalen Pfaden den Hauptkamm zu erklimmen. Nach einer hübschen Schiebe- und Tragepassage oben angekommen, schwappen Wolkenpakete von den östlich gelegenen Küstenregionen herüber, und die Bergspitzen rundherum sind gar ganz in weiss gehüllt. Das kommt uns nicht ungelegen, denn auf den folgenden fünf Kilometern entlang der Grate in einer Höhe von zirka 2000 Metern über Meer in Richtung Norden sind schattenspendende Bäume definitiv Mangelware.

In den tiefer gelegenen Hügelgebieten, welche wir an unserem ersten Fahrtag durchqueren, säumt in voller Blüte stehender Besenginster unsere Wegstrecke und betört uns mit seiner schweren Duftnote. Zur Mittagspause erreichen wir die „Terazzo sui Sibillini», eine Felsformation auf der wir die Aussicht auf die nun schon sehr nahe Hauptkette des Apennins geniessen. Nach dem Picknick im gerade so genügenden Schatten zierlicher Steineichen, gönnen wir uns eine kleine Slickrock-Partie auf dem Bike zum Dessert. Frei nach dem Motto: Auch die alte Welt hält für das Bikerherz immer noch so einiges parat.

Mehr als nur Velofahren

Und was wäre ein Aufenthalt in Italien ohne Essen und Trinken: Aber aufgepasst, es gilt in der Regel eine sich bietende Möglichkeit für die Versorgung mit Nachschub für Magen und Lunchsäckli ohne Zögern zu nutzen. Denn dieser Flecken Europas ist nicht gerade überbevölkert und entsprechend ist die Dichte an Einkaufsläden und Restaurants auf dem Land sehr tief.


„Biken vereint körperliche Leistung und freies Lebensgefühl.“


Zum Glück treffen wir mehr als der, laut Vorab-Recherche, vermuteten Brunnen an. Die hier in der Überzahl vorkommenden Schafe, Kühe und Pferde brauchen zwar keinen Alimentari ums Eck; aber ab und zu einen Schluck Wasser schon, um sich die Grasmahlzeiten herunter zu spülen.

Und wie hatte Vital Eggenberger in seinem 1996 erschienen Büchlein „Mountainbike Erlebnis Ticino“ im Vorwort geschrieben: „Mountainbiken ist mehr als nur Velofahren. Biken vereint körperliche Leistung und freies Lebensgefühl, sowie ein intensives Naturerlebnis.“

Wie recht er doch immer noch hat!


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4 Kommentare

Ales
18. August 2023

ein sehr schöner Bericht. Empfehlen kann ich auch die Valli del Natisone im Friaul, welche touristisch noch nicht überloffen sind und ein paar schöne Mountainbike-Trails und -Touren bieten.

Orsi
18. August 2023

Gut geschrieben. Spannende Routen. Bravo. Ein Bild (Karte) mit den Strecken wäre wünschenswert.

HU
27. August 2023

..tönt spannend mit malerischen Bildern und war sicher ein erlebnisreiches Abenteuer. Würde die Möglichkeit bestehen im Digi-Zeitalter ;-)), diese Abenteuer mit GPS-Daten zu vervollständigen?
LG Hu

Matthias
8. September 2023

Einfach großartig!

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