Unfallzahlen: Ist das E-Bike gefährlich oder die Infrastruktur?

Mitte März präsentierte das Bundesamt für Strassen Astra die Strassenverkehrsunfälle 2022. Wie die Jahre zuvor steht das E-Bike mit steigenden Zahlen schlecht da. Doch dies ist erneut nur die halbe Wahrheit.

Zahlen lügen nicht. Fakt ist: 2022 sind 241 Menschen im Schweizer Strassenverkehr umgekommen. Das sind 241 Menschen zu viel und ein tragisches Plus gegenüber 2021 von 20,5 Prozent. Auch bei den Schwerverletzten gabs einen moderaten Anstieg von 1,8 Prozent auf 4002 Personen.

Betrachtet man nur die Verkehrsmittel «Fahrräder» sowie «E-Bikes»,  sind 42 Velofahrende (davon 23 E-Bike-Fahrende) auf Schweizer Strassen gestorben (2021: 27, davon 11 E-Bike-Fahrende). In Prozenten resultiert bei den Fahrrädern somit ein erfreuliches Minus von 13,6% gegenüber dem Vorjahr, beim E-Bike hingegen eine Zunahme von 35,5%.

Und bei den Schwerverletzten nahm die Anzahl bei den Fahrrädern ebenfalls ab, von 819 auf 769 (-6,1%), bei den E-Bike-Fahrenden gabs eine Zunahme um 5,5% (560 gegenüber 531 im Vorjahr). Die Statistik vermittelt daher implizit nach wie vor den Eindruck, dass E-Bike-Fahren gefährlich ist, was auch teilweise von Medien so zum Ausdruck gebracht wird.

Auszug aus der Astra-Statistik zu den Unfällen mit Schwerverletzen.

Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Warum: Weil die Statistik nicht in Korrelation mit der Entwicklung des E-Bike-Bestandes in Verbindung gebracht wird. So haben wir bereits vor zwei Jahren mit dem Beitrag «Die halbe Wahrheit der Unfallstatistik» auf diese Problematik hingewiesen. Und wir sehen es als unsere Pflicht, dies anhand von einem Beispiel erneut zu tun. Denn fast zeitgleich zur Unfallstatistik wurde vonseiten des Dachverbands «Velosuisse» die Absatzzahlen der Velos und E-Bikes 2022 präsentiert.

Das Wachstum ist entscheidend

Wer die jährlichen E-Bike-Verkäufe berücksichtigt, bemerkt eine fast perfekte Korrelation der Anstiegskurve zu den Unfällen mit Schwerverletzten. Wurden 2014 noch gut 57 000 E-Bikes verkauft, waren es 2020 über 171 Tausend, im vergangen Jahr sogar satte 218 730 E-Bikes. Tendenz nach wie vor steigend. Denn inzwischen liegt das Verhältnis verkaufter Velos und E-Bikes bei 55/45 Prozent. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis die Verkäufe motorisierter Velos Überhand in den Absatzzahlen des Velohandels einnehmen werden.

Mehr verkaufte E-Bikes bedeutet logischerweise auch mehr E-Bikes im Strassenverkehr. Doch Zahlen, wie viele E-Bikes auf Schweizer Strassen effektiv unterwegs sind, gibt es nicht. Fakt ist: Die Pandemie hat den Velo-Boom raketenmässig beschleunigt und viele Menschen zurück aufs Velo gebracht. Das Astra beschäftigt sich jedoch (verständlicherweise) nicht mit der Korrelation, das tun Dritte. Wie beispielsweise die ETH Zürich, die mit der Mobis-Covid19-Studie aufzeigte, dass 2020 die gefahrenen Velokilometer im Vergleich zum Vorjahr um teilweise mehr als 120 Prozent im Plus lagen. Mehr E-Bikes im Verkehr sowie eine mehr als Verdoppelung der Velokilometer führen zwangsläufig auch zu erhöhten Unfallzahlen.

Grafik Veloplus/Roger Züger

Entscheidend ist jedoch wie erwähnt, die Zunahme der Anzahl E-Bikes. Diese haben wir über die letzten neun Jahre zusammengefasst und in mit der jährlichen Anzahl schwerverletzten E-Bike-Verunfallten in Verbindung gebracht. Dabei wird ersichtlich: Die (zunehmende) Kurve der Schwerverletzten hat eine direkte Verbindung zur Anzahl verkaufter E-Bikes. Eine Ausnahme bildete das Jahr 2020, weil in Zeiten von Covid das Velo das Fortbewegungsmittel Nummer 1 galt. Aber 2022 zeigt ganz klar, dass diese Korrelation nach wie vor besteht, aber sich im Verhältnis weniger Unfälle mit Schwerverletzten E-Biker ereignen.

Es gibt nur eine Massnahme

Diese Korrelation wird in der Berichterstattung zu selten berücksichtigt. Viel mehr wird das E-Bike als gefährliches Fahrzeug im Strassenverkehr hingestellt. Das führt dazu, dass man für mehr Sicherheit sorgen und strengere Richtlinien auferlegen will. Dies geschah vor Jahresfrist mit dem Entscheid, dass schnelle E-Bikes ab 2024 mit einem Tacho ausgestattet sein müssen. Ebenfalls ist bereits die Tagfahrlicht-Pflicht für langsame wie auch schnelle E-Bikes in Kraft. Hitzige Diskussionen löste auch die Helmpflicht für alle E-Bike-Fahrenden aus, die inzwischen jedoch vom Tisch ist. Alles soll zum Schutz der E-Bike-Fahrenden sein, um die Unfallzahlen zu reduzieren. Wer ehrlich ist, weiss jedoch, dass ein Tacho, ein Tagfahrlicht oder ein Helm keinen Unfall verhindert. Es ist Symptom- anstatt Ursachenbekämpfung.  

Eine Übersicht über die Unfälle auf Schweizer Strassen mit Velo/E-Bike-Beteiligung. Im Fokus stehen unübersehbar die grossen Schweizer Städte Genf, Lausanne, Bern, Basel sowie der Grossraum Zürich. // Quelle Astra

Unfälle werden vermieden, indem die Infrastruktur für Velofahrende ausgebaut und sicherer wird. Das hohe Bedürfnis wird von den Kantonen und Städten aber nicht oder nur schleppend berücksichtigt, immer hin ist mit dem Veloweggesetzt seit Jahresbeginn endlich Licht am Ende des Tunnels, was Bund, Kantone und Gemeinden verpflichtet, die Veloinfrastruktur in der Verkehrsplanung zu berücksichtigen bzw. zu fördern.

9 Kommentare

Wolfgang Zierhofer
31. März 2023

Die Debatte leidet darunter, dass nicht zwischen Gefahr und Risiko unterschieden wird. E-Bikes sind insofern gefährlicher, als mehr Masse mit mehr Tempo unterwegs ist. Möglicherweise sind auch E-Bike-PilotInnen gefährlicher, weil viele von ihnen weniger „verkehrstrainiert“ sind – nur dazu wissen wir kaum etwas. Sicher ist, dass ich mich als Velonormalo immer öfters von schnellen E-Bikes gefährdet sehe, als von Automobilen – nicht zuletzt, weil es gerade auf der engen Veloinfrastruktur leichter brenzlig wird!
Aber solche partiellen oder subjektiven Beurteilungen der Gefahr stehen nicht im Vordergrund. Entscheidend für die Gesamtbeurteilung ist nämlich das Risiko, z.B. berechnet als Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Unfallschwere mit E-Bikes pro gefahrene Kilometer. Mit solchen oder äquivalenten Schätzwerten sollte man als erstes Argumentieren und dann weiter in die Details gehen.

Hans Bähler
31. März 2023

Tagfahrlichtpflicht für E-Mountainbikes !
Aufhebung Ausrüstpflicht Veloklingel
Möchte die offizielle begründung dieser massnamen hören.
Wenn ich auf f Fussgànger auffahre,sehen sie mein Fahrlicht nicht, aber mein klingeln hören sie!!

    Veloplus – Roger Züger
    3. April 2023

    Hoi Hans
    Besten Dank für deine Nachricht. Die Veloglocken-Pflicht in der Schweiz wurde 2017 abgeschafft. Der Artikel 218 der Verordnung besagte bis dahin, dass Fahrräder mit einem Leergewicht von über 11 kg eine «gut hörbare Glocke aufweisen» müssen. Weil mit der Weiterentwicklung des Materials das Velo immer leichter wurde und viele Velos – vor allem Rennvelos – unter 11 kg wiegen, hat der Bund diese Pflicht jedoch abgeschafft. Das Astra betonte damals aber zugleich, dass die Aufhebung der Pflicht keinem Verbot entspreche. Veloplus wie auch Pro Velo Schweiz empfehlen aus Sicherheitsgründen nach wie vor, eine Veloglocke zu montieren. Beste Grüsse

Emil Gerber
31. März 2023

Kommentar zur Unfallstatistik: Es kommt nicht nur auf die Anzahl verkaufter E-Bikes an. Ein wichtiger Faktor ist auch, dass mit E-Bikes im Schnitt mehr Kilometer gefahren werden als mit Biobikes. Zwar ist auch die durchschnittliche Geschwindigkeit höher, aber genau diese erhöhte Geschwindigkeit führt bei Unfällen zu schwereren oder gar tödlichen Verletzungen. Als Fahrer mit einem langsamen E-Bike (max. 25 km/h Unterstützung) begegne ich immer wieder 45-er Fahrer, die der Meinung sind, sie hatte ein Anrecht, immer mit 45 km/h unterwegs sei zu dürfen. Die bewegte Masse der schwereren E-Bikes, die höhere Durchschnittsgeschwindigkeit, das Verhältnis der zurückgelegten Distanz zur Reaktionszeit, der längere Bremsweg und schliesslich die verbreitete Disziplinslosigkeit sind alles Faktoren, die in die Unfallstatistik einfliessen, aber wahrscheinlich auch mit den besten mathematischen Rechenkünsten nicht statistisch fassbar sind.

Bruno Lüthold
31. März 2023

Interessant wäre in diesem Zusammenhang vielleicht auch noch die Verschuldensfrage anlässlich von Stürzen und Kollisionen, d.h. bei wie vielen Stürzen und vor allem Kollisionen sind tatsächlich die E-Bike-Fahrer*innen schuldig oder mitschuldig. Es ist bekannt, dass die Geschwindigkeit von E-Bikes von anderen Verkehrsteilnehmern leider sehr oft unterschätzt wird.
Darüber könnten jedoch nur die Polizeistatistiken (von polizeilich registrierten Vorfällen/Unfällen) Auskunft geben.

Kurt Schnyder
31. März 2023

Mich wundern die Unfälle der E-Biker nicht. Oft erlebe ich als normaler Velofahrer Situationen, wo ich verlangsame und vorsichtig enge oder unübersichtliche Einmündungen oder Passagen befahre. E-Bikes – vorallem die 45-er – rasen dann wie rücksichtslose Büffel an einem vorbei oder zwischen Personen hindurch, um ja nicht einen Stundenkilometer zu verlieren.
Fazit: Schnelle E-Bikes gehören auf die Strasse und nicht auf Velostreifen und Velowege !!

Timo Gasser Deola
7. April 2023

Hallo VeloPlus Comunity

wieso nicht ein VeloFahrausweis einführen?

in der Primarschule in Solothurn hatten wir einen obligatorischen Velofahrkurs, den wir bestehen mussten, ähnlich einem Autofahrkurs mit Theorie, Praxis und entsprechenden Tests. Jährlich gab es solche die nicht bestanden, diese mussten den Kurs im Folgejahr wiederholen. Den Kurs gibt es nicht mehr, Kostensparung 🙁

Nichts desto trotz hat mir der Kurs viel gelehrt, aber viel habe ich über die Jahre vergessen und Verkehrsgesetze haben sich geändert. Dank dem Lernen fürs Autofahren hatte ich dann viele Aha-Erlebnisse, wo ich heute noch Velofahrende sehe, die sich fälschlicherweise über das Verhalten von Autofahrenden aufregen. Viele Velofahrende sind sich den aktuellen Gesetzen und Empfehlungen nicht bewusst. Im Verkehr beobachte ich ein Manko an gegenseitiger Rücksichtsnahme und Verständnis. Daher bin ich der Meinung: Velo- wie auch Autofahrende sollten besser geschult werden, die Perspektive des anderen Verkehrsteilnehmer zu verstehen.

Wie verhalte ich mich im Kreisverkehr als Velofahrender? Das Gesetz besagt das Velo soll am äusseren Rand fahren. Das kann aber sehr gefährlich sein, daher wird gleichermassen empfohlen und geschult mit dem Velo in der Spurmitte zu fahren. Wie aber komme ich dahin? Vor dem Kreisel fahre ich bereits spurmittig, denn ansonsten überholen mich Autos bei der Einfahrt in den Kreisel, und das kann sehr gefährlich sein. Wiederum hupen gewisse Autos, wenn ich vor dem Kreisel in der Mitte der spur warte „\_(°u°)_/“

Wie sollen die ersten Autos vor der Ampel fürs Rechtsabbiegen einspuren? Rechts, so dass Velofahrende nicht neben ihnen stehen können. Damit wird die gefährliche Situation mit Velofahrenden vermieden, wenn das Auto rechts abbiegen möchte und der Velofahrende geradeaus.

@VeloPlus
Bietet ihr einen Kurs an, bei dem auf solche Regelungen des Verkehrs eingegangen wird?

Gute Fahrt !
Timo

    Veloplus – Roger Züger
    12. April 2023

    Hoi Timo
    Danke für deine Erläuterungen. Ich denke, die Velofahrkurse von früher kennen doch noch einige – in unserer Region gibt es sie sogar immer noch.
    Zu deiner Frage: Nein, wir selbst bieten keine solche Kurse an. aber unser Partner Pro Velo. Hier findest du eine Kursübersicht: https://www.pro-velo.ch/de/angebote/velokurse
    Beste Grüsse

Hans-Peter
25. April 2023

Ich fahre seit 2012 ein „langsames“ E-Bike und das nahezu täglich. Bis jetzt hatte ich noch keine kritische Situation. Eines beherzige ich konsequent: Ich bin immer ein Verkehrsteilnehmer, der auf die anderen Verkehrsteilnehmer Rücksicht nehmen muss!
Dazu gehört auch, dass ich immer gesehen werde und mich bemerkbar mache.
Ich wundere mich, dass Helmtragepflicht nicht für alle Velofahrerinnen und – fahrer gilt. Ebenso sollte eine Glocke unabhängig vom Velotyp Pflicht sein.
Allen Zweiradfahrenden weiterhin viel Vergnügen und unfallfreie Kilometer.
Hans-Peter

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