10 Wege wie das Velo gefördert wird

Bereits mehr als einmal hat die Stadt Zürich in Abstimmungen klar und deutlich gezeigt, dass sie gerne eine Velostadt wär. Und doch ist der Prozess dorthin langsam und schwerfällig. Woran liegt das und was kann man dagegen tun? In einem spannenden Artikel im Infosperber zeigt Felix Schindler zehn Wege auf, wie die Stadt Zürich (oder auch jede andere velounfreundliche Stadt) das Velo proaktiv fördern kann.

Ein Artikel von Felix Schindler von unserem Partner Infosperber.


Titelbild: Alan Maag

Zehn (legale) Methoden der Guerilla-Veloförderung

Felix Schindler /   Viele Städte schaffen es nicht, Platz fürs Fahrrad zu schaffen. Es ist Zeit, unbequem zu werden.

Zürich wäre gerne eine Velostadt. Die Stimmberechtigten bringen das bei jeder Gelegenheit klar zum Ausdruck, bei der letzten Abstimmung sogar mit über 70 Prozent der Stimmen. Doch während etwa in Paris, New York, Barcelona oder Oslo im Eiltempo Hunderte Kilometer Radwege eröffnet werden, ticken die Uhren in Zürich etwas langsamer. Seit den 70er-Jahren geistert der Begriff Veloförderung durch die städtische Verkehrspolitik. 2012 endlich präsentierte der Stadtrat den «Masterplan Velo». Das Papier versprach bis 2025 ein Netz aus «durchgängigen» Velorouten, «weitgehend vom Autoverkehr getrennt» und auch für «ungeübte Velofahrende» geeignet. 

Seither brachte die Stadt ein paar Farbmarkierungen an. Weniger als ein Kilometer dessen, was die Stadt in den letzten sieben Jahren an neuen Routen geschaffen hat, genügt dem höchsten städtischen Qualitätsstandard – und dieser Standard ist im internationalen Vergleich recht bescheiden. Dass die Massnahmen der Stadt völlig ungeeignet sind, die Sicherheit der Velofahrenden zu verbessern, spiegelt sich vor allem in der Unfallstatistik wieder: Die Zahl der Unfälle mit Radfahrenden hat sich seit der Präsentation des Masterplan Velo mehr als verdoppelt. Allen ist klar: Das Ziel des Masterplans ist bis 2025 niemals zu erreichen.

Was nun? Die Stadt präsentierte vor einigen Tagen die «Velostrategie 2030». Das ist eine Reaktion auf die Velorouten-Initiative, mit der die Bevölkerung der Stadt den Auftrag erteilt hat, bis 2030 ein Veloroutennetz zu bauen, wie es eigentlich bis 2025 existieren müsste.

Zürich ist nicht allein. Abgesehen etwa von Bern begegnen wir diesem Phänomen in vielen Schweizer Städten. Die Bevölkerung will Velowege, die Verwaltung schreibt Papiere. Damit das Zuschauen und Abwarten jetzt ein Ende hat, hier 10 Möglichkeiten, wie (fast) jeder den trägen Verwaltungen ein wenig Dampf machen kann.

1. Wählen.

Ursula Wyss, die abtretende Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün der Stadt Bern gehört zu den erfolgreichsten Veloförderinnen der Schweiz. (Stadt Bern, Yoshiko Kusano).

Wer Politiker:innen will, die Velowege realisieren, muss wählen – und zwar Politiker, die sich wirklich dazu bekennen. Versprechen alleine haben sich bisher zu oft als leer erwiesen. Die Chancen steigen aber, wenn Kandidierende selbst regelmässig Velofahren und auch schon die eigenen Kinder in einem Anhänger durch den Stossverkehr gezogen haben. Ausserdem scheinen Frauen die bessere Verkehrspolitik zu machen als Männer. In Bern, Paris, Oslo, Barcelona, Wien, New York wird die Fahrradinfrastruktur tatsächlich besser – überall sind oder waren Frauen in der Verantwortung.

2. Zur kritischen Masse werden.

An einer Critical Mass wird sichtbar: Das Velo gehört zur Stadt. (fxs.)

An einer «Critical Mass» teilnehmen, wenn es die Pandemie wieder erlaubt. An jedem letzten Freitag im Monat treffen sich in Zürich, Genf, Winterthur, Basel, Luzern, Frauenfeld, Biel, Freiburg, Lausanne und Schaffhausen meist gut gelaunte Velofahrer und fahren durch die Stadt – in Zürich sind es an schönen Tagen gegen 1000. Keine Demo, keine Kundgebung, keine festgelegte Route und keine Politik. «Ziel ist, dass die ‹kritische Masse› aller Teilnehmenden so gross ist, dass sie den einzelnen Radfahrenden inmitten des motorisierten Verkehrs gleichzeitig Freiheit und Schutz bietet», fasste es der frühere Direktor des Cabaret Voltaire Philipp Meier auf «Swissinfo» zusammen. Diese Freiheit und dieser Schutz fühlen sich grossartig an – und die schiere Grösse der Gruppe zeigt: Das Velo gehört zur Stadt.

3. Intervenieren.

Gefährliche Stellen? Ein E-Mail an die zuständige Dienstabteilung. (fxs.)

Wenn es die Stadt unterlässt, gefährliche und velofeindliche Stellen im Stadtraum zu verbessern: Ein E-Mail an die zuständige Dienstabteilung. (Hier die E-Mail-Adressen von den Abteilungen in ZürichBern und Basel). Wenn die Stadt neue Radwege öffentlich ausschreibt, auf denen Kinder nicht sicher fahren können: Noch ein Mail. Wenn Parkplätze den Veloverkehr behindern: Noch ein Mail. Wenn der Schneepflug den ganzen Schnee auf den Radweg pflügt: Noch ein Mail. Und noch eins.

4. Unterstützen

Wer Anforderungen an die Gestaltung des Stadtraums und der Verkehrsfläche hat, soll sie zum Ausdruck bringen. Wer das nicht selber tun möchte, kann jene unterstützen, die es tun, zum Beispiel Organisationen und politische Vorstösse. Die Zahl von Organisationen, Initiativen, Projekten, Petitionen und Bewegungen, die sich für Velofahrer engagieren, nimmt laufend zu. Wer deren Ziele teilt, kann sie unterstützen. Mit Geld, Zeit, Wissen, Netzwerk, einer Unterschrift oder indem man ihre Dienstleistungen oder Produkte kauft.

5. Markieren

Jeder rote Punkt ist eine Stelle, die Radfahrer als gefährlich erachten. (Screenshot Bikeable.ch)

Gefährliche Stellen auf Bikeable.ch melden. Auf der Plattform können Radfahrer alle Stellen auf einer Karte markieren, die gefährlich oder mangelhaft sind. Je mehr rote Punkte, desto grösser wird der Druck auf die Behörden.

6. Protestieren.

Velofahrer:innen sind keine besseren Menschen, sie verursachen Unfälle und der Anteil Idioten unter ihnen ist gleich gross wie überall sonst. Kritik muss immer möglich sein. Das rechtfertigt es allerdings nicht, alle Velofahrer pauschal als rücksichtslose Rowdys herabzuwürdigen. Tatsächlich sind Fahrradfahrer für ungefähr 1 Prozent aller schweren und tödlichen Unfälle verantwortlich (Selbstunfälle ausgenommen). Das Risiko, als Fussgänger von einem Auto angefahren zu werden, ist ungefähr zehn Mal so hoch. Man darf deshalb gerne protestieren, wenn zum Beispiel die NZZ am Sonntag Velofahrer als gewalttätiges Feindbild aufbaut und damit die Aggressivität auf der Strasse anstachelt.


Für Eltern

Wer mit Kindern zu Fuss oder mit dem Velo im Strassenverkehr unterwegs ist, verändert sein Bewusstsein für Gefahren. Eltern verbringen Jahre damit, ihrem Kind das Überleben im Verkehr beizubringen. Keine einzige Unfallursache führt häufiger zum Tod von Kindern bis 14 Jahren als Verkehrsunfälle. Wie Kinder damit umgehen und welche Mobilitätsform sie bevorzugen werden, hängt wesentlich von ihren Eltern ab.

7. Ohne Auto in die Kita und zur Schule

Kurze Wege ermöglichen Eltern, ihre Kinder, statt mit dem Auto, zu Fuss oder mit dem Velo in die Kita zu bringen. (pd)

Die Kita so auswählen, dass man die Kinder zu Fuss oder mit dem Velo hinbringen kann. So eliminieren Eltern einen möglichen Grund, vom Auto abhängig zu sein. Und die Kinder werden zu sichtbaren Bewohnern der Stadt. Auch wenn die Kinder älter werden: Nicht mit dem Auto zur Schule bringen. Elterntaxis generieren Mehrverkehr, der die Verkehrssicherheit rund um Schulen beeinträchtigt. Und das wiederum führt dazu, dass noch mehr Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen – aus Angst vor Verkehrsunfällen.

8. Schule mobilisieren

Wenn so der Schulweg eines Kindes aussieht, dann ist eine Intervention bei der Schule angebracht. (Photo by Michael LaRosa on Unsplash)

Eltern haben einen wirkungsvollen Hebel, um die Verkehrssicherheit zu verbessern: Die Schulleitung mobilisieren. Wenn sich die Eltern bei der Schule für kindgerechte Schulwege und autofreie Zonen in der Umgebung von Schulen einsetzen, entsteht Druck auf die Schulpflege und die Politik.

9. In die Zukunft schauen

Die Velofahrer von morgen. (fxs.)

Den Kindern ermöglichen, Velo zu fahren. Zuerst mit Laufvelos, später auf sicheren, autofreien Flächen (und, ganz wichtig, ihren «smile of mastery» geniessen, wenn sie zum ersten Mal realisieren, dass sie auf dem Fahrrad die Schwerkraft überlisten können). Und dann: An einem «Kidical Mass» teilnehmen. Gleiche Idee wie «Critical Mass», aber für Kinder, mit einer Bewilligung der Polizei und einer überwältigenden Anzahl von «smiles of mastery».


Zum Schluss das Wichtigste

Damit zur letzten und vielleicht wichtigsten Massnahme, die zunächst die Lebensbedingungen anderer Verkehrsteilnehmer verbessert. Trotzdem beginnt der Weg zu einer velofreundlichen Stadt genau hier:

10. Respekt gegenüber Fussgänger:innen

Die Fussgängerin und der Fussgänger haben immer recht. (Photo by Timon Studler on Unsplash)

Vortritt gewähren, mit Abstand überholen und nicht auf dem Trottoir fahren und auch mal eine freundliche Geste austauschen. Fussgänger bewegen sich emissionsfrei aus eigener Kraft fort und sind nicht durch einen Mantel aus Stahlblech geschützt – damit sind Fussgänger und Velofahrern natürliche Verbündete und sollten miteinander solidarisch sein. Vor allem aber leisten sie den grössten Anteil an der städtischen Mobilität. Die Fussgängerin und der Fussgänger haben immer recht, selbst wenn sie einmal nicht recht haben sollten.

4 Kommentare

Fabian Meier
9. April 2021

Guter & intelligenter Artikel!

Punkt 10: Respekt gegenüber den Fussgängern: Bravo, dies zu erwähnen. In Zürich ist es traurig zu sehen, wie viele Velofahren auf den Trottoirs fahren – und wenn man sie anspricht, verstehen sie die Welt nicht mehr.

Punkt 1: Wählen. In Zürich hat es die Links-Grüne Mehrheit nicht geschafft, trotz Riesenbudgets für Velofahren nur schon fühlbare Änderungen im Velonetz zu erreichen. Das Umsetzten ist schwierig, es sieht so aus, als nur die Mitgliedschaft in der „richtigen“ Partei nicht genügt, um sichtbare Änderungen einzuleiten.

    Veloplus – Béla Brenn
    9. April 2021

    Hoi Fabian
    Besten Dank für deine Inputs. Bezüglich Punkt 10: Du hast Recht. Dass Velos auf dem Trottoir fahren geht gar nicht. Und das zeigt doch genau, dass es noch viel Nachholbedarf in Punkto Velowegen gibt. Würden nämlich die Velowege durchgehend ausgebaut sein, gäbe es für Velofahrende auch keinen plausiblen Grund, das Trottoir zu benutzen. In Zürich und vielen anderen Städten der Schweiz ist es ja teilweise sogar so, dass die „gemischten“ Verkehrszonen, also Trottoirs für Fussgänger und Velos offiziell so gebaut sind. Und das alles nur, damit die Autos genug Platz haben. Es muss also noch viel verändert werden.

    Zu Punkt 1: Ja. Es ist schade, dass trotz einer Links-Grünen Mehrheit bisher noch verhältnismässig sehr wenig Fortschritte erzielt wurden für den nachhaltigen Verkehr. Ich persönlich denke aber: lieber mit kleinen Schritten nach vorne als einen grossen Rückschritt zu machen und nicht wählen. Der Wille ist da und ich bin überzeugt, dass je länger je mehr vor allen in den Städten die negativen Aspekte (Lärm, Stau, Umweltverschmutzung etc…) beim Auto erkannt werden und so noch mehr in die Velo- und Fussgängerinfrastruktur investiert wird.

    Freundliche Grüsse,
    Béla Brenn
    Veloplus

Andreas B.
9. April 2021

Wie wahr, wie wahr!
Sehr guter Artikel den ich voll unterschreiben kann! Möglichst alle Velofahrer sollten diese 10 Punkte kennen und verinnerlichen, es würde rascher vorwärtsgehen.

Viele unserer Politiker aller Couleur sehen sich lieber beim Cüli-Prosten und Föteli machen, als endlich mit dem Volkswillen konkret vorwärts zu machen.

Cyril Braunschweiler
9. April 2021

Sehr guter Artikel, vielen Dank dafür!

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