Die Schweiz wacht aus dem Lockdown auf. Das Leben findet vermehrt draussen statt, auch der Verkehr nimmt zu. Und wie.
*Da ist er also wieder, der Verkehrsstress, den wir während drei Monaten schon fast vergessen hatten. Freie Fahrt für Velos hiess es für eine kurze Zeit. So viel Rücksichtnahme seitens der motorisierten Verkehrspartner habe ich noch nie erlebt – auch Autofahrende wollten wohl nicht schuld sein, wenn andere im Spital landeten.
Natürlich gab es die Exzesse mit testosterongesteuerten Tempobolzern auf ihren Poserkarren, aber das ist primär ein polizeiliches Problem, und oftmals wohl auch ein psychisches.
Wieder der ganz normale Verkehrswahnsinn
Doch nun regiert wieder der ganz normale Verkehrswahnsinn. So wird es auf einer kurzen Strecke in die Innenstadt dreimal gefährlich: Einmal schneidet mir ein abbiegendes Auto den Weg ab, dann versperrt ein fetter Transporter mit Anhänger die Strasse, das dritte Mal wird mir der Vortritt verwehrt. Apropos Vortritt: Eine Velofahrerin, die ihr Smartphone studiert, statt auf die Strasse zu schauen, hätte mich auch fast übersehen …
«Da ist er also wieder, der Verkehrsstress, den wir während drei Monaten schon fast vergessen hatten.»
Im Ausland haben Städte die Corona-Zeit dazu genutzt, Pop-up-Radwege zu bauen, Strassen zu sperren und eine neue Velo-Ära einzuläuten. In der Schweiz passiert ausser in Genf diesbezüglich – nichts. In Zürich sowieso nicht. Zwar wurden die unsäglichen mobilen vierrädrigen Werbemobile, genannt Enuus, in die Schranken gewiesen, das war es dann auch schon.
Vorbild Bern
Bern kann immerhin mit seiner Velo-Offensive punkten. Die Stadt steigerte innert sechs Jahren mit einem klaren Förderungsplan den Veloanteil massiv und könnte die angepeilten 20 Prozent Anteil am Gesamtverkehr schon dieses Jahr erreichen, statt erst in zehn Jahren.
Zwar sind den meisten Städten bis zu einem gewissen Grad die Hände gebunden, wenn es um die Strassenhoheit geht. In den meisten Fällen liegt sie bei den autofreundlichen Kantonsregierungen. Aber Bern macht vor, wie man etwa auf Ausfallstrassen 2,50 Meter breite Velowege baut.
«Welcome to Zurich: Coronakrise gemeistert, Chance verpasst.»
In Zürich wird auf Lösungen gewartet
In Zürich warten wir noch immer gespannt, was die im Frühling neu angestellten VeloplanerInnen Schlaues aushecken und bald der Öffentlichkeit präsentieren. Bis dahin läuft alles wie immer (oder vor Corona). Der Gipfel des letztwöchigen Verkehrschaos fand am vergangenen Samstag statt. Während mehr als zehntausend Menschen gegen Rassismus demonstrierten, verstopften Luxuskarossen die Innenstadt, viele davon mit ausserkantonalen Kennzeichen.
Demo gegen Demo. Statt ihr Zentrum endlich zu sperren, setzt die Limmatstadt weiterhin auf freie Fahrt für freie Konsumbürger. Welcome to Zurich: Coronakrise gemeistert, Chance verpasst.
*Gatbeitrag von Pete Mijnssen von unserem Medienpartner Velojournal.