Altai: Auf der Schatzsuche in den goldenen Bergen

Brigitte und Ivo Jost, beide 36 Jahre alt, haben ihre gemeinsame Reisegeschichte vor 20 Jahre gestartet. Nun sind sie seit über vier Jahren am Stück mit dem Velo unterwegs und beschreiben hier ihre Erlebnisse im russischen Altai. Schon vor der aktuellen Reise waren Brigitte und Ivo zweimal länger am Pedalieren, total haben sie schon über acht Jahre im Sattel verbracht.

„Ihr habt doch schon alles gesehen!“ Hören wir manchmal, wenn unser Nomadenleben zur Sprache kommt. Natürlich stimmt das nicht, doch ehrlicherweise müssen wir zugeben, dass wir wählerisch geworden sind. Wir geben uns nicht mehr gerne mit Kupfermünzen ab, wir wollen Goldstücke. Und Goldstücke sind für uns Orte, die uns körperlich und mental herausfordern, an denen wir zu Entdeckern werden können und Menschen begegnen, die uns inspirieren. Denn genau dort steigt unser Puls, wie bei einem Schatzsucher, dessen Schaufel über einen Truhendeckel kratzt. Und genau dann fühlen wir wieder dieses Kribbeln im Bauch und es ist, als würden wir zu unserem ersten Reisetag aufbrechen.

Ein neues Ziel

Der Russische Altai ist so ein Ort. Wir haben Fährte aufgenommen und obwohl uns das Internet weismachen will, dass individuell Reisende die nötigen Bewilligungen für die Grenzregion zwischen Russland, Kasachstan, China und der Mongolei nicht erhalten, dass das Militär Ausländer ohne lokalen Führer nicht durchlässt, können wir nicht davonlassen. Wir haben uns in die Idee verbissen wie ein räudiger Köter in einen alten Knochen. Ein Schatz wartet dort auf uns, wir können ihn bereits riechen. Doch um einen Schatz zu finden, braucht es nebst einer guten Karte auch eine Portion Glück. Und das stellt sich schon am nächsten Tag ein, als wir eine Reiseagentur im Altai anschreiben und die Organisation um einen Grenzpermit bitten. Wir erhalten nicht nur ein perfekt verfasstes Antwortmail in Englisch, sondern auch die Bestätigung, dass wir die Bewilligung in zwei Monaten in der Militärkaserne von Kosh-Agach abholen können. Ohne zusätzliche Einschränkungen. Ha! Nun brauchen wir noch ein Russisches Visa, und da dies nur im Heimatland ausgestellt wird, müssen wir etwas tiefer in die Reisetrickkiste greifen. DHL fliegt unsere Pässe nach Hause, ein Schweizer Visaservice kümmert sich um die Papiere. Und genau zwei Monate später reisen wir von der Mongolei nach Russland ein. Die Schatzsuche kann beginnen.

Auf Schatzsuche

Schätze zu finden ist bekanntlich knifflig. Doch hier ist es ein Kinderspiel. Auf unserem Weg über das Ukok Plateau scheint das Gold am Strassenrand zu liegen. Wir brauchen es bloss aufzusammeln. Das Steppengras leuchtet, Wollgras raschelt im Wind und am Horizont thront ein Kristallpalast: Die Viereinhalbtausender des vergletscherten Tavan Bogd Massivs. Das Ukok Plateau ist ein Kraftort, seit ewiger Zeit ein heiliger Platz für die hier lebenden Tuwa und Kasachen. Spätestens mit dem Fund der Altai Prinzessin in einem Hügelgrab, ist das Ukok Plateau auch international ein Begriff geworden. Die Prinzessin ist ausgegraben und liegt im naturhistorischen Museum in Novosibirsk, doch das Geheimnis des von hohen Bergen umgebenen Plateaus bleibt. Es ist ein magischer Ort, durchzogen von unzähligen mäandernden Wasserläufen, einsam, wild, verwunschen.

Am dritten Tag holt uns eine Regenfront ein. Das goldene Leuchten erlischt und weicht einem bleiernen Grau. Die Regenbekleidung lässt im Nu durch und kalte Rinnsale sickern in unsere Begeisterung. Wir brauchen einen Unterschlupf, so macht das keinen Sinn. Weiter vorne im Tal können wir gerade noch ein paar Gebäude durch die Wolken erkennen, dann klatscht uns der Wind den Regen fast waagrecht ins Gesicht. Als wir das verlassene kasachische Winterlager erreichen, könnten wir mit dem Wasser in unserer Unterwäsche glatt eine Tasse Tee kochen. Wir retten uns in die Sauna, ein kleines, mit Moos isoliertes und komplett verrusstes Blockhaus. Eigentlich sollten wir uns ja jetzt mit dieser Kupfermünze zufriedengeben, aber da steht ein rostiger Fassofen und damit das Potential unser Refugio erneut in ein Goldstück zu verwandeln.

Draussen aufgeschichtet liegen wie übergrosse Bienenstöcke getrocknete Dungfladen. Heizmaterial in einer baumlosen Ebene. Durch den Regen schleppen wir ein paar Stücke in die Sauna und füllen den Ofen. Bald wird es warm und gemütlich – halt! Filmriss. Bald husten wir uns die Lunge aus dem Leib und flüchten hinaus in den strömenden Regen. Unser Refugio: Ein schwarzes Rauchloch. So ein Mist! Bibbernd stehen wir in der Kälte und ärgern uns über uns selbst. Was nun? In einem der Ställe finden wir eine Flasche Benzin und gehen zum Angriff über. So leicht lassen wir uns nicht aus unserer Bleibe vertreiben. Vermummt wie echte Banditen stellen wir uns dem Gegner. Ein reichlich mit Benzin getränkter alter Lappen als Starter, eine hohe Stichflamme und dann – Sieg! Der Dung brennt, der Rauch zieht ab und wir gewinnen den verloren geglaubten Boden zurück.

Am nächsten Morgen liegt dichter Nebel. Doch dann bricht die Sonne durch, giesst erneut flüssiges Gold über die Hochebene. Der Wind jagt Gespenster aus Nebelschwaden übers Moor, die bald wie Spinnweben zwischen den Gräsern hängen bleiben und zu schillernden Glasperlen kondensieren. Als wir startklar sind, hat sich das Wetter zu einem dieser Herbsttage gemausert, an denen die Welt strahlt und man nirgendwo sonst als auf seinem Bike sitzen will.

Im Goldwahn

Wer einmal vom Goldwahn erfasst wird, kann nicht mehr davonlassen. Er rafft zusammen, was er kann und bekommt doch nie genug. Und so hören auch wir nicht die Stimmen der Einheimischen, die meinen, dass der Weg durchs Arguttal und über drei Pässe nicht möglich sei mit dem Bike. Wir sehen nur diesen türkisgrünen Fluss, diese archaische Bergwelt, diese Piste, die den Argut in schwindelerregender Höhe durchs Tal begleitet und wir wissen: Da gibt es noch mehr zu holen.

Nach knapp fünfzig Kilometern erreichen wir einen kleinen Weiler und das Ende der Strasse. Auf der Russischen Generalstabskarte ist er als Komuna Argut eingetragen und wir scheinen mit dem Überqueren der alten Holzbrücke wirklich mit einem Fuss in der Sowjetzeit gelandet zu sein. Kleine, von der Sonne dunkelbraun gebrannte Blockhäuser mit blaubemalten Fensterrahmen und weissen Fensterstreben. Die Dorfbewohner mit asiatischen Gesichtszügen, in tarnfarbenen Überkleidern und mit Pferd und Traktor in Gemeinschaftsarbeit am Heuen. Was in aller Welt hält diese Menschen hier? An diesem vergessenen Ort, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint? Doch dann schauen wir um uns, sehen es, das Glänzen in den Augen. „Krassivy?“, fragt uns ein Mann, auf seine Heugabel gestützt. Ja, schön, dieser Flecken Erde ist wunderschön. Wir fragen in unserem holprigen Russisch, ob jemand Lust hat, uns mit Pferden über die nächsten vierzig Kilometer Wanderweg zu helfen. Wir ernten ein freundliches, aber bestimmtes „Njet!“. Die Arbeitskräfte und Pferde werden zum Heuen gebraucht. Die Spitzen der Berggipfel sind schon verschneit. Und warum sollte jemand Geld verdienen wollen, wenn er schon Gold hat?

Eldorado

Als hätte uns die Strömung des Argut erfasst, als wäre jeder Gedanke an eine Umkehr gegen das Gesetz der Natur, so fühlen wir uns inmitten dieser mächtigen Landschaft. Wetten, dass es bei der nächsten Flussbiegung noch schöner ist, wetten, dass am Fuss des Mount Belucha nicht nur Goldstücke, sondern auch Edelsteine liegen? Und so fahren wir weiter. Trotz der fehlenden Hilfe, trotz der quälenden Stimme der Vernunft können wir nicht umkehren. Wir wollen weitersuchen, weiter entdecken, hoffen darauf Eldorado zu finden.

Leider gibt es im Arguttal nicht nur Gold, sondern auch Fels. Nach zwölf Kilometern auf einem völlig verblockten und rutschigen Pferdepfad sind wir erschöpft und spüren: Falls nicht hinter der nächsten Biegung der Jungbrunnen steht, ist unsere Schatzsuche hier zu Ende. Sollten wir nicht zufrieden sein? Haben wir nicht genug bekommen? Doch! Und so rollen wir unsere Karte ein, kehren um, das Herz voll mit Schätzen. Irgendwann werden wir zurückkehren in die goldenen Berge des Altais. Denn als richtige Schatzsucher wissen wir: Solange es noch unerforschte Kreuze auf dem Schatzplan hat, liegt da noch etwas vergraben.

Reiseinfos

Route

Die Strecke ist Teil einer mehrjährigen Weltreise. Die Etappe im russischen Altai führte während 561 Kilometern und 6642 Höhenmetern in 9 Fahrtagen über das Ukok-Plateau, 80% davon auf Naturstrassen und Singletrails. Für den Besuch der Grenzregion braucht es Sonderbewilligungen, die zwei Monate im Voraus beantragt werden müssen. Die Route kann mit weiteren Bikepacking-Strecken in der Mongolei zu einer längeren Tour kombiniert werden.

Hier geht’s direkt zu ihrem Blog.

Übernachten

In den zwei Dörfern Kosh-Agach und Beljashi/Djazator, welche am Rand des Ukok-Plateaus liegen, gibt es einfache Unterkünfte. Sonst ist wildes Zelten angesagt.

Ausrüstung

Brigitte und Ivo sind gerne leicht unterwegs. Sie sind überzeugt: Wer weniger mitschleppt, kann mehr entdecken.

Hier findest du einige Gegenstände aus ihrem Setup.

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