Eine Fahrradreise durch Nordamerika – von der Ostküste an die Westküste. Rückblick Kanada

Seit rund zwei Monaten sind Natalie Stocker und Pjotr Margiel nun in Kanada unterwegs. Auf dem Weg Richtung Westen haben die beiden kurzerhand entschieden, die Route ihrer Fahrradreise zu ändern und ihren Weg in den USA fortzusetzen. Das Ziel am Pazifik heisst nun San Francisco. Ein Gastbeitrag von Natalie Stocker.

«Unsere Reise beginnt am 12. April 2014 in Halifax an der Ostküste Kanadas. Von dort aus geht es gen Westen. Zuerst durch Nova Scotia, dann durch New Brunswick. Es ist kalt, stellenweise liegt Schnee. Die touristische Infrastruktur ist noch im Winterschlaf, Campingplätze sind geschlossen, die Landschaft wie ausgestorben.

 

Ostkanada im April: Noch ist es kalt, und Schnee liegt auch noch.

Ostkanada im April: Noch ist es kalt, und Schnee liegt auch noch.

Allerdings erleben wir in dieser Zeit einiges, was man als Tourist zu einer «normalen» Jahreszeit verpasst: beispielsweise die Ahornsirup-Produktion, die immer nur kurz am Ende des Winters stattfindet.

Bei der Ankunft in Quebec erwischt uns ein Schneesturm. Wir folgen dem Lauf des St.-Laurence-Flusses in Richtung Süden bis nach Quebec City und weiter bis nach Montreal. Die Strecke nach Quebec ist toll, weite Landschaft, schöne Wolken, der Zug der Schneegänse. Der zweite Teil nach Montreal ist monoton, wir fahren durch endlose, graue, gesichtlose Dörfer.

 

Wälder, Seen – und noch mehr Wälder und Seen!

In Montreal beschliessen wir, einen Umweg in den Südwesten von Quebec und durch das Wildreservat La Verendrye zu fahren, um etwas mehr Wildnis und Natur zu erleben. Kurz hinter Montreal gelangen wir auf einen 200 km langer Radweg auf einer ehemaligen Eisenbahnlinie, der «Petit Train du Nord». Nach Wochen auf asphaltierten Highways mit mehr oder weniger Verkehr war es wunderbar, auf diesem ruhigen Naturweg zu radeln. Wir schwelgen im Radlerglück.

In Mont-Laurier beginnt der ernste Teil der Reise durch die Wildnis: eine fünftägige Fahrt durch das Wildreservat. In der Mitte der Fahrt wird es über 290 Kilometer nur eine Tankstelle geben, ansonsten nichts. Keine Dörfer, keine Läden. Mit den Taschen voller Lebensmittel machen wir uns auf den Weg. Die Natur ist wild, aber auch eintönig. Hinter jedem Hügel erwarten wir etwas anderes, eine Ebene oder eine Aussicht auf etwas. Aber über hunderte von Kilometern sehen wir nur Wälder und Seen …

 

Hier steppt der Bär

Unser erstes grosses Wildtiererlebnis haben wir kurz nachdem wir das offizielle Reservat verlassen: Wir sehen zwei Elche! Das zweite Wildtiererlebnis spielt sich nicht viel später ab: ein Bär! Der Bär besucht uns eines Nachts auf einer einsamen Waldlichtung am Zelt, nachdem er – wie wir aus der Entfernung hören konnten – schon an der am Baum aufgehängten Essenstasche war. Er tapst am Zelt vorbei, macht gruselige Geräusche, wir sehen ihn gerade noch hinter den Büschen verschwinden. Am nächsten Morgen entdecken wir dann die Folgen des Bärenbesuchs: Die Tasche mit Essen war nicht weit genug vom Stamm aufgehängt, der Bär konnte sie anscheinend mit Schnauze oder Tatzen erreichen. Die untere Ecke ist aufgerissen, Kratzspuren und Löcher. Die ungewaschenen Campingteller, die wir gutgläubig auf den Boden gestellt haben, sind saubergeleckt und zerbissen.

... und plötzlich ist der Sommer da!

… und plötzlich ist der Sommer da!

Nach dem Wildreservat sind wir wieder in der Zivilisation. Um wieder zurück auf die Ost-West-Route zu gelangen, biegen wir scharf nach Süden ab und fahren entlang der Westgrenze von Quebec. Es ist Ende Mai und mit dem Süden kommt auch endlich der Sommer, plötzlich sind Blätter an den Bäumen. Die Sonne wärmt uns auf. Und die Fliegen sind da. Sie fallen in Schwärmen über uns her und versuchen in Ohren, Augen, Mund zu krabbeln.

 

Zweiradfahrer treffen Zweiradfahrer

Mit dem abrupten Übergang zum Sommer endet auch unsere Reise durch Quebec. Am 25. Mai überqueren wir in Temiskaming die Grenze zu Ontario. Und nicht nur das Wetter hat sich geändert, sondern auch das Reisegefühl. Wir werden pausenlos angesprochen, vor dem Supermarkt, in der Cafékette Tim Hortons, an der Tankstelle. Smalltalk, kleine Geschichten. Brummige Motorradfahrer in Lederjacken und mit langen Bärten erzählen von Bären und verabschieden uns mit dem Versprechen, dass sie für uns beten werden.

Natur pur auf dem Weg nach Westen.

Natur pur auf dem Weg nach Westen.

Nach der langen Zeit in Quebec haben wir plötzlich das Gefühl, als seien wir jetzt erst in Kanada angekommen. Die Quebecer haben uns ja auch oft genug erzählt, dass Quebec eigentlich nicht Kanada sei… Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir in letzter Zeit eifrig die «typisch kanadischen Dinge» ausprobieren: wir waren Kanu fahren, haben geangelt und Marshmallows gegrillt, wir sind Quad gefahren, haben Axt geworfen, mit der Armbrust geschossen.

 

Glacé frisch vom Hof

Auf auf der Mapleton’s Dairy Farm in Moorefield (Ontario) gönnen wir uns eine längere Pause, entspannen unsere Beine und Hinterteile und schaffen dafür mal wieder mit Armen und Händen. Das i-Tüpfelchen unseres Bauernhofaufenthaltes ist die integrierte Eiscremefabrik, wo die Kuhmilch direkt zu allerfeinstem Bio-Eis verarbeitet wird.

Mit dieser langen Pause vom Fahrradfahren endet für uns auch der erste Teil der grossen Nordamerika-Durchquerung. Hinter uns liegen anderthalb Monate Radeln und 2800 Kilometer durch Kanada.

 

Auf in die USA!

Ende Juni beginnt der zweite Teil unserer Reise von Ost nach West. Da die USA zum einen abwechlungsreichere Landschaften und zum anderen ein besseres Streckennetz (und Karten) für Fahrradfahrer bietet, haben wir uns entschieden, unsere Reise an die Westküste im Nachbarland fortzuführen.

Die nächsten Etappen führen uns daher über die US-Grenze nach Detroit, dann nach Ohio, durch Indiana, Illinois, Missouri, Kansas. Weiter fahren wir auf der Fahrradroute «Western Express» durch Colorado, Utah, Nevada, Kalifornien. Unser Ziel an der Westküste: San Francisco.»

2 Kommentare

Rita Hauenstein
14. Juli 2019

Hallo zusammen
Wir sind auch begeisterte Radfahrer und planen die nächste grössere Reise, nachdem wir im 2012 von Vancouver nach San Francisco und im 2016 von Calgary nach Denver auf der Great Divide gefahren sind.
Könnt ihr uns den ganzen Bericht zukommen lassen.
Herzlichen Dank und
radlergrüsse
Rita und Pius Hauenstein
Tamins

    Roger Züger by Veloplus
    15. Juli 2019

    Hoi Rita und Pius
    Klingt toll, eure Velo-Abenteuer, die ihr bereits in den Knochen habt.
    Leider haben wir nur den Rückblick „Kanada“ und keine weiteren Beiträge dieser Velo-Reisenden. Vielleicht findet ihr ja das Gesuchte unter unserer Rubrik der Reisenden: https://www.veloplus.ch/reisende

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Die Kommentare werden zuerst von uns gesichtet und freigeschaltet. Dein Kommentar erscheint deshalb mit Verzögerung.