Reise ans Ende der Welt

Yves Sprunger hat Neuseeland, das schönste Ende der Welt, während der ersten drei Monate dieses Jahres mit dem Velo bereist. Lest hier seinen tollen Reisebericht und seht Euch die tollen Bilder an … wenn da kein Fernweh aufkommt!

«Neuseeland, das Traumland am anderen Ende der Welt, fasziniert mich schon seit meiner Kindheit. Als im Sommer 2014 der Wunsch nach einer beruflichen Veränderung aufkam, packte ich die Gelegenheit beim Schopf und plante eine dreimonatige Reise ins Land der langen weissen Wolke. Doch wie soll ich dieses Land bereisen? Nachdem ich in den letzten Jahren etliche Länder auf geführten Bikereisen entdeckt habe, kam für mich ausschliesslich eine Veloreise in Frage. Nur diesmal mit dem ganzen Gepäck und über eine viele längere Zeit; eine Premiere für mich. Allerdings wollte ich ganz bewusst daraus keine reine Veloreise, sondern eine Abenteuerreise machen, und die Schönheiten des Landes auch auf Trekkings, beim Bergsteigen oder auf einem Kayak erleben. Diese Entscheidung sollte einen wesentlichen Einfluss auf das mitgeschleppte Gepäck haben.

Also lancierte ich mich Kopf voran ins Abenteuer; kündigte meinen gut bezahlten Job, kaufte mir ein Tourenvelo und Zubehör bei Veloplus – nach all den Reiseberichten, die ich in den letzten Jahren im Veloplus Aktuell gelesen habe, die sollten ja schon wissen, was gut ist –, und buchte einen Flug mit Hinreisedatum 8. Januar und Rückreisedatum 8. April 2015. Bei Arbeitskollegen, Freunden und Familie stiess mein Vorhaben auf Besorgnis und Bewunderung zugleich.

Ein harter Start ins Abenteuer, erste Lehren

Die ersten Tage auf dem Velo waren hart. Aussergewöhnliche Bedingungen mit Temperaturen weit über 30°C – in Neuseeland eine Seltenheit – und teilweise stürmischem Wind mit heftigen Windböen, gepaart mit etwas Pech – kaum war ich zwei Stunden unterwegs stach mich eine Biene in den Oberschenkel – forderten meinen ganzen Kampfgeist heraus. Meine Unerfahrenheit machte sich zudem schnell bemerkbar, indem ich wohl das Velo etwas grosszügig bepackt, meine Tagesetappen etwas zu optimistisch geplant und die vielen kleinen Steigungen – Neuseeland ist nie flach – ziemlich unterschätzt hatte.

Ich zog sehr schnell meine Lehren daraus; fortan startete ich sehr früh morgens, nahm immer ein Bidon Wasser mehr mit, änderte meinen Fahrstil auf eine deutlich ökonomischere Fahrweise, addierte rund 50 Prozent an die geplanten Höhenmeter für die ganz vielen kleinen Auf‐ und Abstiege, und kürzte teilweise die geplanten Tagesetappen.

Die ersten Höhepunkte: Lake Tekapo und Mount Cook National Park

Die so getroffenen Massnahmen machten sich schnell bezahlt, und so konnte ich die Reise zu den ersten grossen Höhepunkten, dem Lake Tekapo und dem Mount Cook National Park, in vollen Zügen geniessen. Die Bedingungen blieben allerdings schwierig und äusserst wechselhaft: Litt ich bei der Fahrt zum Mount Cook Village bei Regen und kalten 5°C, so herrschten bei der Rückfahrt Sonnenschein und über 30°C.

Doch genau diese Wetterwechsel sind typisch für Neuseeland. Mit einer guten Ausrüstung und der richtigen Einstellung meistert aber jeder diese wetterbedingten Herausforderungen. Das Land belohnt diese Strapazen indes mit einer einzigartigen Vielfalt an umwerfenden Landschaften. Und genau so war es auch am Lake Tekapo und Mount Cook: die Schneeriesen der Southern Alps thronten über die hochalpine Landschaft und schienen mit den schimmernden türkis‐blauen Seen Lake Pukaki und Lake Tekapo um die Wette. Es sind genau diese Momente, welche das Herz jedes Abenteurers höher schlagen lassen!

Trekking im Reich der Vulkane

Neuseeland besitzt ein dichtes Netz an mehrtägigen Wanderwegen, die bekanntesten davon werden als Great Walks bezeichnet. Übernachtet wird dabei in Hütten; ein bisschen wie in der Schweiz, mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Hütten bewartet, aber nicht bewirtet sind – Essen und Kochutensilien muss jeder selber mitnehmen.

Und so lancierte auch ich mich in dieses Abenteuer Great Walks, und tauschte mein Fahrrad gegen Bergschuhe und Rucksack, um die Welt abseits jeglicher Strasse zu erleben. Im Tongariro National Park wanderte ich in drei Tagen um den Ngarauhoe, diesen aktiven Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen, vorbei an den aktiven Vulkanen Tongariro und Ruapehu. Was im Falle eines Ausbruchs zu tun wäre, erklärte der Hütten‐Ranger in etwa so: «So schnell wie möglich davon laufen, an den Talflanken entlang und nicht im Talboden, ohne die fliegenden Vulkanbomben aus den Augen zu lassen.» Im Vergleich dazu ist aus koordinationstechnischer Sicht das sichere Führen eines 40 Kilogramm schweren Velos bei Seitenwind ein wahres Kinderspiel! Also besann ich mich nach den drei Wandertagen wieder auf meine Stärken und fuhr mit dem Velo weiter.

Eine Reise ans Ende der Welt – oder eher an den Anfang der Welt?

Ferry, ein professioneller Fotograf, den ich an der Westküste der Südinsel getroffen hatte, gab mir damals den Tipp, den East Cape bei Sonnenaufgang zu besuchen. Da sich seine Ratschläge bisher als Volltreffer erwiesen, stand ich also um 4 Uhr auf, packte meine Sachen, und nahm mitten in der stockfinsteren Nacht die 30 Kilometer lange, holperige Schotterstrasse unter die Reifen. Als ich dann endlich beim Leuchtturm am East Cape ankam, am östlichsten Punkt des neuseeländischen „Festlandes“, war es wieder da, wonach wir Abenteurer und Veloreisende suchen: völlig allein an diesem mystischen Ort am Ende der Welt, mit Blick auf den fernen Himmel über dem weiten Pazifik, der langsam seine kalten blauen in warmen orangenfarbenen Töne umwandelte. Und plötzlich erscheint die Sonne am Horizont; wohlwissend, einer der ersten Menschen auf der Welt zu sein, der das Licht des neuen Tages erblickt – nur wenige hundert Kilometer östlich leben die Menschen noch einen Tag zurück.

Es sind genau diese Momente, welche eine Fernreise mit dem Velo so unvergesslich machen. Der Veloreisende erlebt diese unvergesslichen Momente viel intensiver, weil er sich diese ja hart erarbeitet hat, und kommt an einzigartige, magische Orte. Dass danach noch 110 Kilometer auf dem Programm standen, ist reine Nebensache – inzwischen war das keine konditionelle Herausforderung mehr.

Und noch etwas änderte dieser frühmorgendliche Ausflug zum East Cape: fortan bezeichnete ich Neuseeland nicht mehr als das Ende der Welt, sondern als das Land am Anfang der Welt.

Neuseeland – ein Traumland, per Velo umso mehr!

Neuseeland mit dem Velo zu bereisen ist nicht immer einfach; die vielen Hügel und Berge erfordern eine gute Kondition, das wechselnde Wetter und der häufige Wind verlangen Durchhaltevermögen. Doch wer sich auf den Kampf mit den fünf Elementen einlässt, der wird belohnt mit einem Reichtum an Landschaften, die seinesgleichen sucht. Im Rest der Welt müssten ganze Kontinente bereist werden um eine solche Vielfalt zu erleben, in Neuseeland muss oft nicht einmal die Insel gewechselt werden. Von den kalten Felsen des Fjordland National Parks, zu den hohen Bergen der Southern Alps, wo sich an der Westküste Gletscher und Urwald die Hand geben, über die karibischen Strände des Abel Tasman National Parks oder der Coromandel Halbinsel, bis hin zu den aktiven Vulkanen der Nordinsel, die Vielfalt wird jeden Veloreisenden in seinen Bann ziehen.

Im Gegensatz zum wechselnden Wetter zeigt Neuseeland aber auch seine bequeme Seite, welche das Land für eine erste Reise mit dem Tourenvelo prädestiniert: eine hervorragende touristische Infrastruktur mit liebevollen Herbergen und zahllosen Campingplätzen, einer wachsenden Anzahl Fernradwegen und einem dichten Netz an Velowerkstätten. Und dann ist da noch der Neuseeländer, der «Kiwi», mit seiner offenen und lockeren Art, vernarrt in alle Outdoor‐Aktivitäten, stolz auf sein Land, der jeden Gast mit offenen Armen empfängt und sich freut, ihm die Schönheiten seines Landes zu zeigen. Vielleicht sind es gerade diese Menschen, welche diesen zwei Inseln mit ihren wunderschönen Landschaften etwas Magisches verleihen. Mich hat diese Magie jedenfalls in ihren Bann gezogen, und ich bin mir ganz sicher, dass dies nicht meine letzte Reise nach Neuseeland gewesen sein wird.»

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